Die Geliehene Zeit
wollte den Kopf heben, um besser sehen zu können. Mit sanftem Druck bedeutete mir Raymond jedoch liegenzubleiben, also ließ ich den Kopf wieder auf das Kissen sinken und spähte schräg über meine Brust.
Ich bildete mir das alles doch nicht etwa sein - oder? Zwar bewegten sich Raymonds Hände nicht, aber es lag ein Lichtschimmer über ihnen, der rosa und hellblau über meine weiße Haut tänzelte.
Nun erwärmten sich meine Brüste, aber es war eine natürliche, gesunde Wärme, nicht das quälende Brennen des Fiebers. Ein Luftzug aus dem offenen Bogengang drang durch die Vorhänge und streifte das feuchte Haar an meiner Schläfe, aber mir war nicht mehr kalt.
Raymond hatte den Kopf gesenkt, das Gesicht war unter der Kapuze der geborgten Kutte verborgen. Nach einer, wie mit schien, langen Zeit nahm er die Hände von meinen Brüsten und ließ sie ganz langsam über meine Arme gleiten. An den Schultern, Ellbogen, Handgelenken und Fingern hielt er inne und übte sanften Druck aus. Der Schmerz ließ nach, und ich glaubte, in meinem Oberarm eine zartblaue Linie wahrzunehmen, als leuchtete der Knochen von innen heraus.
Dann führte er seine Hände langsam zurück über die flache Wölbung des Schlüsselbeins und am Brustbein entlang nach unten, die Finger über meinen Rippen gespreizt.
Das Merkwürdige an der Sache war, daß mich das alles überhaupt nicht erstaunte. Es kam mir vollkommen natürlich vor, und unter dem formenden Griff seiner Hände entspannte sich mein gequälter Körper. Es war, als modellierten seine festen Hände meinen Körper wie weiches Wachs; nur mein Skelett veränderte sich nicht.
Nun ging ein seltsames Gefühl der Wärme von den breiten, kräftigen Händen aus. Sie bewegten sich bedächtig über meinen Körper, und ich spürte die kleinen Tode der Bakterien, die mein Blut übervölkerten - es waren winzige Explosionen, mit denen die Fünkchen der Infektion erloschen. ich spürte auch jedes einzelne meiner Organe, vollständig und dreidimensional, ich konnte jedes sehen, als läge es vor mit auf einem Tisch. Die Wärme breitete sich in jedem Organ aus, erhellte es wie eine kleine Sonne in meinem Innern, erstarb dann und wanderte weiter.
Raymond hielt inne, die Hände nebeneinander auf meinen geschwollenen Bauch gedrückt. Ich meinte zu sehen, wie er die Stirn runzelte, war mir aber nicht sicher. Der Kopf unter der Kapuze drehte sich, horchte, aber außer den gedämpften Geräuschen des Krankenhausbetriebs war nichts zu hören.
Ich keuchte und bewegte mich unwillkürlich, als eine Hand tiefer glitt und sich zwischen meine Beine legte. Durch verstärkten Druck der anderen Hand bedeutete mir Raymond zu schweigen, und seine plumpen Finger gruben sich in meinen Schoß.
Ich schloß die Augen und wartete, spürte, wie sich die Scheidenwände dieser seltsamen Invasion fügten und wie die Entzündung nach und nach abklang, während er behutsam tiefer eindrang.
Jetzt berührte er den Mittelpunkt meines Verlusts, und die Wände meiner wunden Gebärmutter zogen sich vor Schmerz zusammen. Ich stöhnte leise, biß aber die Zähne zusammen, als Raymond den Kopf schüttelte.
Die andere Hand legte sich tröstend auf meinen Unterleib, während tastende Finger die Gebärmutter berührten. Dann hielt er still, den Ursprung meiner Schmerzen zwischen den Händen haltend wie eine Kristallkugel, schwer und zerbrechlich zugleich.
»Jetzt«, sagte er leise. »Ruf ihn. Ruf den roten Mann. Ruf ihn.«
Der Druck der Finger innen und der Handfläche außen verstärkte sich, und ich preßte die Beine gegen das Bett, kämpfte dagegen an. Aber ich hatte keine Kraft mehr, und der unerbittliche Druck hielt an, zerbrach die Kristallkugel und setzte das Chaos im Innern frei.
Ich sah Bilder vor mir, schlimmer und wirklicher als das Elend meiner Fieberträume. Verlust und Trauer und Angst marterten mich, und der staubige Geruch nach Tod und weißer Kreide stieg mir in die Nase. Ich suchte in den wirren Gedankenmustern nach
Hilfe, dann hörte ich die Stimme, die geduldig wiederholte: »Ruf ihn.« Und ich griff nach diesem Halt.
»Jamie! JAMIE!«
Ein Hitzestrahl schoß durch meinen Bauch, von einer Hand zur anderen. Der harte Griff entspannte sich und löste sich von mir. Ich aber war von Leichtigkeit und Harmonie erfüllt.
Das Bettgestell erzitterte, als sich Raymond gerade noch rechtzeitig duckte.
»Madame! Ist alles in Ordnung?« Schwester Angelique schob sich durch die Vorhänge; das rundliche Gesicht unter dem
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