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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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immer so düstere Farben zu tragen! Was für eine Religion muß das sein, die ihren Anhängern gebietet, sich immer so reizlos zu kleiden? Offensichtlich das Werk des Teufels, das sieht doch jeder. Sie haben Angst vor Frauen, daran liegt es, deshalb...«
    Ich schloß die Augen, lehnte mich zurück und hoffte, daß es bis zu Louises Landsitz nicht mehr weit war.
     
    Neben dem Affen, von dem sie sich niemals trennte, war Louises Landhaus noch mit einigen anderen Dingen von zweifelhaftem Geschmack ausgestattet. In Paris mußte sie auf die Vorlieben ihres Gatten und ihres Vaters Rücksicht nehmen, und daher waren die Räume des Hauses zwar reich möbliert, aber in dezenten Farben gehalten. Da Jules in der Stadt viel zu tun hatte, kam er selten auf den Landsitz, also konnte Louise hier ihrem Geschmack freien Lauf lassen.
    »Das ist mein neuestes Spielzeug, ist es nicht goldig?« gurrte sie und ließ ihre Hand liebevoll über die Schnitzereien eines aus dunklem Holz gefertigten Häuschens gleiten, das neben einer vergoldeten Bronzestatue der Eurydike aus der Wand sproß.
    »Sieht aus wie eine Kuckucksuhr«, sagte ich ungläubig.
    »Du hast schon mal eine gesehen? Ich hätte nicht gedacht, daß es in Paris welche gibt!« Louise schmollte ein wenig bei dem Gedanken, daß ihr Spielzeug nicht vollkommen einzigartig war, doch ihre Miene hellte sich auf, als sie die Zeiger der Uhr zur nächsten vollen Stunde vorrückte. Sie trat zurück und strahlte vor Stolz, als der winzige Vogel seinen Kopf herausstreckte und mehrere schrille Kuckucksrufe von sich gab.
    »Ist das nicht schön?« Sie berührte kurz den Kopf des Vogels, der wieder in seinem Loch verschwand. »Berta, die Haushälterin, hat die Uhr für mich besorgt. Ihr Bruder hat sie aus der Schweiz mitgebracht. Über die Schweizer kann man sagen, was man will, aber sie sind tüchtige Holzschnitzer, nicht wahr?«
    Ich wollte widersprechen, murmelte aber statt dessen höflich eine bewundernde Bemerkung.
    Wie ein Grashüpfer sprang Louises unsteter Geist zum nächsten Thema, vielleicht angeregt durch den Gedanken an die Schweizer Dienstboten.

    »Weißt du, Claire«, bemerkte sie mit sanftem Tadel, »du solltest jeden Morgen an der Messe in der Kapelle teilnehmen.«
    »Warum?«
    Mit einer Kopfbewegung wies sie auf die offene Tür, wo eines der Mädchen mit einem Tablett vorbeikam.
    »Mir selbst ist es vollkommen gleichgültig, aber die Dienstboten - sie sind sehr abergläubisch hier draußen auf dem Lande, weißt du. Und einer der Lakaien aus Paris war so töricht, der Köchin die alberne Geschichte, du seist La Dame Blanche , zu erzählen. Ich habe ihnen natürlich gesagt, daß das Unsinn ist, und gedroht, jeden zu entlassen, den ich bei der Verbreitung solcher Klatschgeschichten erwische, aber... nun ja, es wäre ganz gut, wenn du zur Messe gingest oder wenigstens hin und wieder laut beten würdest, so daß sie dich hören.«
    Täglich die Messe in der Hauskapelle zu besuchen war mir als zutiefst ungläubigem Menschen dann doch zuviel, aber leicht belustigt erklärte ich mich bereit zu tun, was in meinen Kräften stand, um die Ängste der Dienstboten zu zerstreuen. Folglich verbrachten Louise und ich die nächste Stunde damit, uns gegenseitig Psalmen vorzulesen und im Chor das Vaterunser herzusagen - und zwar laut. Ich hatte keine Ahnung, welchen Eindruck diese Vorstellung auf die Dienstboten machte, aber mich erschöpfte sie so, daß ich mich zu einem Nickerchen auf mein Zimmer zurückzog und traumlos bis zum nächsten Morgen schlief.
    Ich litt häufig unter Schlafstörungen, vielleicht weil sich mein Wachzustand kaum von einem unruhigen Dösen unterschied. Nachts lag ich wach und starrte die mit Blumen und Früchten verzierte Stuckdecke an. Sie hing blaß und grau über mir in der Dunkelheit, die Verkörperung der Depression, die tagsüber meinen Verstand umnebelte. Wenn ich dann doch einschlief, träumte ich. Durch das Grau konnte ich die Träume nicht dämpfen; mit lebhaften Farben fielen sie mich im Dunkeln an. Also schlief ich selten.
     
    Von Jamie hörte ich nichts, auch nicht über Dritte. Ob ihn seine Schuld oder seine Verletzungen gehindert hatten, mich im Spital zu besuchen, wußte ich nicht. Aber er war nicht gekommen, und genausowenig kam er nach Fontainebleau. Inzwischen war er wahrscheinlich unterwegs nach Oviedo.
    Manchmal ertappte ich mich bei der Überlegung, wann - oder ob
- ich ihn wiedersehen würde, und was - wenn überhaupt - wir einander sagen würden.

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