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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Fontainebleau wach. Dies und Louises ununterbrochenes Geplauder hatten eine beruhigende Wirkung auf mich. Anfangs versuchte ich lahm, etwas zu erwidern, merkte aber bald, daß sie gar keine Antwort erwartete und angesichts meines Schweigens sogar ungezwungener redete.
    Nach all den Tagen, die ich in dem kühlen grauen Steingewölbe des Spitals verbracht hatte, kam ich mir wie eine frisch ausgewikkelte Mumie vor und schreckte vor all der Helligkeit und Farbe zurück. Ich konnte leichter damit umgehen, wenn ich die Dinge einfach an mir vorbeiziehen ließ, ohne zu versuchen, Einzelheiten in mich aufzunehmen.
    Das gelang mir auch, bis wir ein Wäldchen außerhalb von Fontainebleau erreichten. Die Eichenstämme waren dunkel und dick, und das niedrige, ausladende Blätterdach der Bäume ließ auf dem Boden ein Wechselspiel von Licht und Schatten entstehen, so daß sich der ganze Wald im Wind sachte zu bewegen schien. Mit leiser Bewunderung nahm ich diesen Effekt wahr, bis ich bemerkte, daß einige der Formen, die ich für Baumstämme gehalten hatte, tatsächlich langsam hin und her schaukelten.
    »Louise!« rief ich und packte sie am Arm, so daß sie mitten im Satz verstummte.
    Schwerfällig beugte sie sich zu mir herüber, um zu sehen, was ich erblickt hatte, dann ließ sie sich wieder zurückfallen, streckte den Kopf aus dem Fenster und rief dem Kutscher etwas zu.
    In einer Wolke von Staub kam unsere Kutsche vor dem Wäldchen zum Stehen. Es waren drei, zwei Männer und eine Frau. Aufgeregt wies Louise den Kutscher zurecht, der Kutscher versuchte sich zu entschuldigen, aber ich achtete nicht darauf.
    Obwohl sie hin und her baumelten und ihre Kleidung ein wenig flatterte, waren sie reglos, viel regloser als die Bäume, an denen sie hingen. Die Gesichter der Gehängten waren schwarz angelaufen. Monsieur Forez hätte das gar nicht gefallen, dachte ich benebelt. Eine Amateurhinrichtung, aber trotz alledem wirkungsvoll. Der Wind drehte, und ein leiser Verwesungsgeruch wehte in unsere Richtung.

    Louise stieß schrille Schreie aus und hämmerte gegen den Fensterrahmen, bis die Kutsche ruckartig anfuhr.
    »Merde!« rief sie und fächelte ihrem erhitzten Gesicht hastig Luft zu. »Dieser Narr, wie idiotisch, ausgerechnet hier zu halten! Wie rücksichtslos! Der Schock ist schlecht für das Baby, ganz bestimmt, und du, meine Arme, meine Liebe... o je, meine arme Claire! Es tut mir ja so leid, ich wollte dich nicht erinnern... kannst du mir verzeihen, ich bin so taktlos...«
    Glücklicherweise verstörte sie die Vorstellung, sie könnte mich beunruhigt haben so sehr, daß sie ihre eigene Beunruhigung beim Anblick der Gehängten vergaß, aber es war überaus ermüdend, ihre Entschuldigungen abzuwehren. In meiner Verzweiflung lenkte ich schließlich das Gespräch wieder auf die Hingerichteten.
    »Wer?« Das Manöver klappte. Sie blinzelte, und da sie sich an den Schock, den ihr système erlitten hatte, erinnerte, zog sie ein Fläschchen Riechsalz heraus, inhalierte herzhaft und nieste.
    »Huge... hatschi! Hugenotten«, brachte sie schnaubend und keuchend heraus. »Protestantische Ketzer. Das hat jedenfalls der Kutscher gesagt.«
    »Sie werden gehängt? Immer noch?« Ich hatte geglaubt, Verfolgung aus religiösen Gründen gehöre der Vergangenheit an.
    »Tja, in der Regel nicht nur, weil sie Protestanten sind, obwohl das auch schon reicht«, sagte Louise schniefend. Behutsam betupfte sie ihre Nase mit einem bestickten Taschentuch, betrachtete das Ergebnis kritisch und schneuzte noch einmal kräftig.
    »Ah, das ist besser.« Sie stopfte das Tüchlein wieder in die Tasche und lehnte sich seufzend zurück. »Jetzt geht es mir wieder gut. Welch ein Schock! Wenn man sie schon aufhängen will - und das ist ja in Ordnung -, muß man es dann unbedingt an einer öffentlichen Straße tun? Hast du sie gerochen? Puuh! Das Land gehört dem Comte de Medard. Ich werde ihm einen bösen Brief schreiben, darauf kannst du dich verlassen.«
    »Aber warum hat man diese Leute gehängt?« fragte ich, ihr rücksichtslos ins Wort fallend, was die einzige Möglichkeit war, mit Louise ein Gespräch zu führen.
    »Oh, wahrscheinlich Hexerei. Es war eine Frau dabei, das hast du gesehen. Wenn Frauen beteiligt sind, geht es meist um Hexerei. Wenn es aber nur Männer sind, handelt es sich in der Regel um aufwieglerische, ketzerische Predigten, aber Frauen predigen ja
nicht. Hast du die häßlichen dunklen Kleider gesehen, die sie trug? Entsetzlich! Wie bedrückend,

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