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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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in die Augen sehen. Dann atmete ich tief ein und nickte.
    »Ich bin fertig. Bitte, rufen Sie die Kutsche.«
     
    Diesen Teil des Palasts hatte ich noch nie betreten. Nachdem ich schier endlose kerzenerleuchtete Korridore mit zahllosen Spiegeln durchschritten hatte, war ich nicht mehr ganz sicher, wie viele von meiner Sorte da herumliefen, geschweige denn, in welche Richtung.
    Der diskrete königliche Kammerjunker führte mich zu einer kleinen holzgetäfelten Tür in einem Alkoven. Er klopfte einmal, verbeugte sich dann vor mir, drehte sich rasch um und verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten. Die Tür ging nach innen auf, und ich trat ein.
    Der König hatte seine Hose noch an. Diese Feststellung verminderte meinen Herzschlag auf ein erträgliches Tempo, und auch das Gefühl, jede Sekunde erbrechen zu müssen, wich von mir.
    Ich wußte nicht genau, was ich erwartet hatte, aber der Anblick, der sich mir bot, wirkte halbwegs beruhigend. Der König war zwanglos gekleidet, in Hemd und Kniehose, um die Schultern einen Morgenmantel aus brauner Seide. Seine Majestät lächelte und bedeutete mir aufzustehen, indem er mit der Hand meinen Arm berührte. Seine Hand fühlte sich warm an - unbewußt hatte ich damit gerechnet, sie würde klamm sein. Ich erwiderte sein Lächeln, so gut ich konnte.
    Der Versuch wirkte offenbar nicht gerade überzeugend, denn er tätschelte mir freundlich den Arm und sagte: »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben, chère Madame, ich beiße nicht.«
    »Nein«, sagte ich. »Selbstverständlich nicht.«
    Er war wesentlich gelassener als ich. Kein Wunder, dachte ich bei mir, schließlich macht er das ständig. Ich atmete tief durch und versuchte mich zu entspannen.
    »Trinken Sie ein Glas Wein mit mir, Madame?« fragte er. Wir
waren allein; der Wein war bereits eingeschenkt. Die Kelche schimmerten im Kerzenlicht wie Rubine. Das Zimmer war reich verziert, aber klein, und außer dem Tisch und zwei Stühlen mit ovalen Lehnen enthielt es nur eine verschwenderisch gepolsterte, mit grünem Samt bezogene Chaiselongue. Ich versuchte, das Möbelstück nicht anzusehen, als ich mein Glas nahm und Dankesworte murmelte.
    »Setzten Sie sich doch.« Louis ließ sich auf einem Stuhl nieder und bedeutete mir, auf dem anderen Platz zu nehmen. »Nun, bitte«, sagte er lächelnd, »sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann.«
    »M-mein Gemahl«, stotterte ich nervös. »Er ist in der Bastille.«
    »Natürlich«, murmelte der König. »Wegen eines Duells. Ich entsinne mich.« Er nahm meine freie Hand in die seine und legte seine Finger sanft auf meinen Puls. »Was soll ich machen, chère Madame? Sie wissen, daß es sich um ein schweres Vergehen handelt. Ihr Mann hat meinen Erlaß mißachtet.« Er liebkoste die Unterseite meines Handgelenks, so daß ich ein leichtes Prickeln im Arm spürte.
    »J-ja, das weiß ich. Aber er wurde... provoziert.« Ich hatte einen Einfall. »Wie Ihr wißt, ist er Schotte. Die Männer aus diesem Land sind...«, ich suchte nach einem guten Synonym für Berserker, »voller Ingrimm, wenn es um ihre Ehre geht.«
    Louis nickte, den Kopf scheinbar völlig versunken über meine Hand geneigt. Seine Haut schimmerte ein wenig fettig, und er roch nach Parfum. Veilchen. Ein intensiver, süßer Duft, der jedoch den scharfen Geruch seiner Männlichkeit nicht überdecken konnte.
    Er leerte sein Glas in zwei Zügen und stellte den Kelch ab, um meine Hand mit beiden Händen ergreifen zu können. Ein Finger zeichnete die Ornamente meines Eherings mit den Distelblüten nach.
    »Ganz recht«, sagte er und zog meine Hand näher zu sich, als wollte er den Ring genauer betrachten. »Ganz recht, Madame. Indes...«
    »Ich wäre... überaus dankbar, Eure Majestät«, unterbrach ich ihn. Er hob den Kopf, und ich sah in seine dunklen, forschenden Augen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Überaus... dankbar.«
    Er hatte schmale Lippen und schlechte Zähne. Ich roch seinen nach Zahnfäule und Zwiebeln stinkenden Atem und versuchte die Luft anzuhalten, aber das war nur eine vorübergehende Notlösung.

    »Nun...«, sagte er langsam, als überdächte er die Sache. »Ich persönlich würde dazu neigen, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, Madame...«
    Ich atmete aus, und seine Finger drückten warnend meine Hand. »Aber wissen Sie, es gibt Komplikationen.«
    »Tatsächlich?« fragte ich matt.
    Er nickte, den Blick auf mich geheftet. Er streichelte die Venen auf meinem Handrücken.
    »Der Engländer, der das Pech hatte, den

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