Die Geliehene Zeit
sich herumschleppte.
Wichtiger noch war die Angelegenheit, die Charles Stuart und das Schiff aus Portugal betraf, das Darlehen von Monsieur Duverney - und Murtagh, der im Begriff war, sich in Lissabon einzuschiffen, und einem Treffen in Oviedo entgegensah. Es stand zuviel auf dem Spiel, als daß ich meinen Gefühlen hätte nachgeben dürfen. Um der schottischen Clans willen, für die Highlands selbst, für Jamies Familie und seine Pächter in Lallybroch, für die Tausenden, die bei und nach der Schlacht von Culloden sterben würden - dafür mußte es gewagt werden. Und um es zu wagen, mußte Jamie frei sein. Diese Sache konnte ich nicht selbst in Angriff nehmen.
Nein, keine Frage. Ich mußte tun, was nötig war, um ihn aus der Bastille freizubekommen.
Aber was konnte ich tun?
Ich beobachtete die Bettler, die sich balgten und auf die Fenster der Kutsche zustrebten, als wir in die Rue du Faubourg-St.-Honoré einbogen. In Zweifelsfällen war es am besten, Rat bei einer höheren Instanz einzuholen.
Nachdenklich trommelte Mutter Hildegarde mit den Fingern auf ein Notenblatt, wie um den Takt einer schwierigen Sequenz zu klopfen. Sie saß an dem Mosaiktisch in ihrem privaten Schreibzimmer gegenüber von Herrn Gerstmann, der zu dieser Dringlichkeitssitzung gerufen worden war.
»Nun ja«, meinte Herr Gerstmann zweifelnd. »Ich glaube, daß ich eine Privataudienz bei Seiner Majestät erwirken könnte, aber... sind Sie sicher, daß Ihr Mann... äh...« Dem Hofkantor schien es außergewöhnlich schwerzufallen, die rechten Worte zu finden, so daß sich mir der Verdacht aufdrängte, eine Petition an den König, um Jamies Freilassung zu erwirken, könnte ein wenig mehr Schwierigkeiten mit sich bringen, als ich gedacht hatte. Mutter Hildegarde bestätigte diese Vermutung durch ihre Reaktion.
»Johannes!« rief sie so aufgeregt, daß sie die gewohnte förmliche
Anrede beiseite ließ. »Das kann sie nicht! Schließlich gehört Madame Fraser nicht zu den Hofdamen - sie ist eine tugendhafte Frau!«
»Danke«, sagte ich höflich. »Wenn Sie jedoch erlauben... was hat meine Tugendhaftigkeit mit einer Audienz beim König zu tun?«
Die Nonne und der Kantor tauschten einen Blick, in dem sich das Entsetzen über meine Naivität ebenso spiegelte wie ihr Widerwillen, mich aufzuklären. Schließlich biß Mutter Hildegarde, die mutigere von beiden, in den sauren Apfel.
»Wenn Sie den König allein aufsuchen, um eine Gunst von ihm zu erbitten, wird er erwarten, daß Sie bei ihm liegen«, sagte sie schonungslos. Nach dem Wirbel, der dieser Eröffnung vorausging, wunderte mich das nicht, aber ich warf Herrn Gerstmann einen fragenden Blick zu, der den Sachverhalt mit einem zögernden Nikken bestätigte.
»Seine Majestät hat ein offenes Ohr für die Gesuche von Damen, die über persönliche Reize verfügen«, erklärte er taktvoll und vertiefte sich in die Betrachtung eines Ornaments auf dem Tisch.
»Aber solche Gesuche haben ihren Preis«, fügte Mutter Hildegarde weniger feinfühlig hinzu. »Die meisten Höflinge sind hocherfreut, wenn ihre Gemahlinnen die Gunst des Königs erlangen. Der Gewinn, den sie daraus ziehen, ist ihnen das Opfer der Tugend wert.« Dabei verzog sich ihr breiter Mund verächtlich, doch bald fand sie wieder zu ihrem gewohnten grimmig-humorvollen Lächeln.
»Doch Ihr Gatte«, sagte sie, »erweckt nicht den Anschein, als würde er sich ergeben in die Rolle eines Hahnreis fügen.« Fragend zog sie die dichten Brauen hoch, und ich schüttelte den Kopf.
»Das glaube ich auch nicht.« Es war sogar eine der gröbsten Untertreibungen, die ich je gehört hatte. Zwar war »ergeben« nicht gerade das letzte Wort, das ich mit Jamie in Verbindung brachte, es stand aber auch nicht ganz oben auf der Liste. Ich versuchte mir vorzustellen, was Jamie denken, sagen oder tun würde, wenn er je erfuhr, daß ich mit einem anderen Mann geschlafen hatte, und sei es der König von Frankreich.
Ich dachte an das Vertrauen, das uns verbunden hatte, fast seit dem Tag unserer Heirat, und plötzlich fühlte ich mich schrecklich
einsam. Ich schloß die Augen und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an, aber ich mußte dem, was mir bevorstand, ins Auge sehen.
Ich holte tief Luft und fragte: »Gibt es noch eine andere Möglichkeit?«
Mutter Hildegarde legte die Stirn in Falten und sah Herrn Gerstmann an, als erwartete sie von ihm eine Antwort. Der kleine Kantor zuckte die Achseln und runzelte ebenfalls die Stirn.
»Wenn Sie einen
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