Die Geliehene Zeit
einflußreichen Freund hätten, der bei Seiner Majestät ein Wort für Ihren Gatten einlegen könnte?« fragte er zögernd.
»Wohl kaum.« Diese Möglichkeit hatte ich auf dem Weg von Fontainebleau hierher schon selbst erwogen, hatte mir aber eingestehen müssen, daß es niemanden gab, an den ich mich mit einer solchen Bitte wenden konnte. Aufgrund der Illegalität des Duells und des nachfolgenden Skandals - denn natürlich hatte Marie d’Arbanville ihren Klatsch in ganz Paris verbreitet - konnte es sich kein Franzose aus unserem Bekanntenkreis leisten, sich für uns einzusetzen. Monsieur Duverney hatte mich zwar freundlich empfangen, konnte mir aber keinen Mut machen. Abwarten, lautete sein Rat. In einigen Monaten, wenn der Skandal in Vergessenheit geraten wäre, dann könnte man sich an Seine Majestät wenden. Aber im Augenblick...
Und auch der Herzog von Sandringham, der so überaus delikate diplomatische Verhandlungen führte, daß er seinen Privatsekretär entlassen hatte, weil es den Anschein hatte, daß er in einen Skandal verwickelt war - auch er war nicht in der Lage, von Louis eine solche Gunst zu erbitten.
Ich starrte auf die Mosaikplatte, nahm jedoch die bunten geometrischen Muster kaum wahr. Wenn es wirklich notwendig war, Jamie aus dem Gefängnis zu holen, um eine jakobitische Invasion Schottlands zu verhindern, dann würde wohl ich mich um seine Freilassung kümmern müssen, ganz gleich, mit welchen Mitteln und mit welchen Konsequenzen.
Schließlich blickte ich auf und sah dem Kantor in die Augen. »Ich muß es tun«, sagte ich leise. »Es gibt keinen anderen Ausweg.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann sah Herr Gerstmann Mutter Hildegarde an.
»Sie wird hierbleiben«, erklärte die Oberin mit fester Stimme.
»Bitte teilen Sie Tag und Stunde der Audienz mit, sobald Sie alles in die Wege geleitet haben, Johannes.«
Dann wandte sie sich an mich. »Wenn Sie sich tatsächlich für diesen Weg entschieden haben, meine liebe Freundin...« Sie preßte die Lippen fest aufeinander, sagte aber dann: »Es mag eine Sünde sein, Sie bei einer unmoralischen Tat zu unterstützen. Ich werde es trotzdem tun. Ich weiß, daß Sie Ihre Gründe haben, auch wenn ich sie nicht kenne. Und vielleicht wird ja die Sünde durch den Lohn Ihrer Freundschaft aufgewogen.«
»Oh, Mutter.« Hätte ich noch mehr gesagt, wären mir die Tränen gekommen, also begnügte ich mich damit, die große, abgearbeitete Hand zu drücken, die auf meiner Schulter ruhte. Plötzlich verspürte ich den Drang, mich in ihre Arme zu werfen und mein Gesicht in dem tröstlichen schwarzen Serge zu bergen, aber sie nahm die Hand von meiner Schulter und griff nach dem langen Rosenkranz, der bei jedem Schritt in den Falten ihres Rockes klickte.
»Ich werde für Sie beten.« Sie lächelte, dann fügte sie nachdenklich hinzu: »Obwohl ich mich frage, welchen Heiligen man unter diesen Umständen anrufen sollte?«
Maria Magdalena, schoß es mir durch den Kopf, als ich die Hände wie zum Gebet hob, um mir das geflochtene Gestell für den Reifrock über die Schultern und auf die Hüften herunterziehen zu lassen. Oder Mata Hari, aber ich bezweifelte, daß man sie jemals heiligsprechen würde. Übrigens war ich mir auch bei Magdalena nicht sicher, aber wie mir schien, würde eine bekehrte Prostituierte unter all den himmlischen Heerscharen am ehesten Verständnis für das Abenteuer aufbringen, auf das ich mich jetzt einließ.
Das Couvent des Anges hatte gewiß noch nie ein so prachtvolles Kleid wie dieses gesehen. Zwar wurden die Novizinnen, wenn sie ihr letztes Gelübde ablegten, als Bräute Christi festlich gekleidet, doch rote Seide und Reispuder spielten bei dieser Zeremonie wohl keine große Rolle.
Sehr symbolträchtig, dachte ich, als die üppigen scharlachroten Falten über mein Gesicht glitten. Weiß für Unschuld und rot für... was immer das sein mochte. Schwester Minerve, eine junge Nonne aus einer reichen Adelsfamilie, war ausgewählt worden, mir bei der Toilette zu helfen. Mit großem Geschick frisierte sie mich und
steckte mir mit Staubperlen besetzte Straußenfedern ins Haar. Meine Brauen bürstete sie sorgfältig mit kleinen Bleikämmen, und meine Lippen zog sie mit einer in den Rougetopf getunkten Feder nach. Es kitzelte unerträglich, was meine Neigung, hemmungslos zu kichern, verstärkte. Aber es war keine Lustigkeit, sondern Hysterie.
Schwester Minerve griff nach dem Handspiegel. Doch ich winkte ab - ich wollte mir nicht
Weitere Kostenlose Bücher