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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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daß Monsieur Clouseau, ein bekannter Gesellschaftsarzt, aus Paris unterwegs war, um mich zu untersuchen, wäre schon allein Grund genug gewesen, wieder auf die Beine zu kommen.
    Der 18. Juli war in zehn Tagen. Mit einem schnellen Pferd, gutem Wetter und dem Verzicht auf jede körperliche Bequemlichkeit war die Strecke von Paris nach Oviedo in sechs Tagen zu schaffen. Damit blieben mir vier Tage, um Jamies Freilassung aus der Bastille zu erwirken. Ich hatte keine Zeit, mich mit Monsieur Clouseau abzugeben.
    »Hmm.« Nachdenklich sah ich mich im Zimmer um. »Ruf auf alle Fälle das Mädchen, um mir beim Ankleiden zu helfen. Ich möchte Monsieur Clouseau nicht im Hemd empfangen.«
    Obwohl mich Louise immer noch mißtrauisch musterte, erschien ihr das wohl plausibel. Die meisten Damen bei Hofe hätten sich noch vom Totenbett erhoben, um sich einem solchen Anlaß gemäß zu kleiden.
    »Einverstanden«, sagte sie und wandte sich zur Tür. »Aber du bleibst im Bett, bis Yvonne da ist, hörst du?«
    Das gelbe Kleid war eins meiner besten, ein loser, schöner Schnitt im modischen Kontuschstil mir breitem Kragen, weiten Ärmeln und einem perlenbesetzten Verschluß vorne. Endlich gepudert, gekämmt, bestrumpft und parfümiert, musterte ich die Schuhe, die Yvonne für mich bereitgestellt hatte. Ich schüttelte bedächtig den Kopf und runzelte die Stirn.
    »Hmm, nein«, sagte ich schließlich. »Lieber nicht. Ich trage die anderen, die mit den roten Saffianabsätzen.«
    Das Mädchen blickte zweifelnd auf mein Kleid, als hielte sie im Geiste rotes Saffianleder gegen gelben Seidenmoire, begann aber gehorsam, in dem wuchtigen Schrank zu wühlen.
    Lautlos schlich ich mich heran, schubste sie mit dem Kopf voran in den Schrank und schlug die Tür hinter der zappelnden, kreischenden Yvonne zu. Dann drehte ich den Schlüssel um, ließ ihn in meine Tasche fallen und gratulierte mir im Geiste zu meiner Tat.
Gut gemacht, Beauchamp, dachte ich. Durch dieses politische Intrigenspiel lernst du Dinge, die du dir auf der Krankenpflegeschule nicht hättest träumen lassen, das steht fest.
    »Keine Sorge«, rief ich dem bebenden Schrank zu. »Ich denke, daß bald jemand kommt und Sie herausläßt. Und Sie können der Prinzessin versichern, daß Sie mich nicht haben entwischen lassen.«
    Aus dem verzweifelten Heulen im Schrank hörte ich Monsieur Clouseaus Namen heraus.
    »Sagen Sie ihm, er soll sich den Affen ansehen!« rief ich über meine Schulter. »Er hat die Räude.«
     
    Dank meiner siegreichen Auseinandersetzung mit Yvonne hob sich meine Stimmung merklich. Doch als ich in der Kutsche saß, die holpernd Richtung Paris fuhr, verlor ich allmählich wieder den Mut.
    Ich war zwar nicht mehr ganz so wütend auf Jamie, wollte ihn aber nach wie vor nicht sehen. Meine Gefühle waren in Aufruhr, aber ich hatte nicht die Absicht, mich näher mit ihnen auseinanderzusetzen; es tat einfach viel zu weh. Ich empfand Kummer und hatte das schreckliche Gefühl, versagt zu haben, und vor allem hatten wir einander verraten: er mich und ich ihn. Er hätte nie in den Bois de Boulogne gehen dürfen, und ich hätte ihm nie dorthin folgen dürfen.
    Aber wir hatten beide gehandelt, wie es unser Charakter und unsere Gefühle geboten, und gemeinsam hatten wir - vielleicht - den Tod unseres Kindes herbeigeführt. Ich verspürte nicht den Wunsch, meinen Komplizen zu sehen, und noch weniger wollte ich ihm meinen Kummer zeigen oder meine Schuld an seiner messen. Ich floh vor allem, was mich an den naßkalten Morgen im Wald erinnerte, ich floh vor jeder Erinnerung an Jamie, wie ich ihn zuletzt gesehen hatte, hochaufgerichtet über dem Körper seines Opfers, mit vor Rachedurst verzerrtem Gesicht - eine Rache, die sich kurz darauf gegen seine eigene Familie wenden sollte.
    Ich konnte nicht einmal flüchtig daran denken, ohne daß sich mein Magen verkrampfte und damit der Schmerz der vorzeitigen Wehen wiederauflebte. Ich preßte die Fäuste gegen den blauen Samt des Sitzes und richtete mich auf, um das eingebildete Ziehen im Rücken zu mildern.
    Ich sah aus dem Fenstere, um mich abzulenken, nahm aber die
vorbeiziehende Landschaft nicht wahr, da meine Gedanken unwillkürlich wieder zum Zweck meiner Reise zurückkehrten. Unabhängig davon, was ich für Jamie empfand, was wir einander waren oder sein würden - die Tatsache blieb bestehen, daß er im Gefängnis saß. Und ich glaubte zu wissen, was die Haft für ihn bedeutete, angesichts der Erinnerungen an Wentworth, die er mit

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