Die Geliehene Zeit
brachte ihn mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen.
»Aye, ich weiß, was Dougal denkt - seit zwei Jahren peinigt er mich damit«, sagte er ungeduldig. »Aber ich bin der MacKenzie von Leoch, und ich werde die Entscheidung fällen. Dougal wird sich meinem Entschluß beugen. Ich möchte wissen, was du mir raten würdest - um des Clans willen, dessen Blut in deinen Adern fließt.«
Jamie blickte auf, ohne eine Regung zu zeigen; vor der nachmittäglichen
Sonne, die ihm ins Gesicht schien, kniff er seine dunkelblauen Augen zu.
»Ich bin hier und mit mir meine Männer«, sagte er. »Meine Wahl ist wohl eindeutig.«
Colum rutschte erneut hin und her. Er sah seinen Neffen forschend an, als suchte er in den feinsten Regungen von Stimme und Gesichtsausdruck Aufschluß über dessen Gedanken.
»Tatsächlich?« fragte er. »Man geht aus den verschiedensten Gründen Bündnisse ein, Junge, und nur in den wenigsten Fällen bekennt man sich nach außen zu ihnen. Ich habe mit Lochiel gesprochen, mit Clanranald, mit Angus und Alex MacDonald von Scotus. Glaubst du wirklich, sie sind nur hier, weil sie der Überzeugung sind, James Stuart sei der rechtmäßige König? Jetzt will ich mit dir sprechen - und die Wahrheit hören, um der Ehre deines Vaters willen.«
Als Colum sah, daß Jamie unschlüssig war, fuhr er fort, ohne seinen Neffen aus den Augen zu lassen.
»Ich frage nicht um meiner selbst willen; wer Augen im Kopf hat, kann sehen, daß mich das alles nicht mehr lange belasten wird. Es geht mir um Hamish - deinen Cousin. Wenn es später noch einen Clan geben soll, den er anführen kann, dann muß ich jetzt die richtige Entscheidung treffen.«
Er hielt inne und saß regungslos da. Die Vorsicht, die ihn für gewöhnlich auszeichnete, war aus seinen Zügen gewichen, seine grauen Augen blickten offen und erwartungsvoll.
Auch Jamie saß unbeweglich da, starr wie der Marmorengel auf dem Grab hinter ihm. Ich wußte um den Zwiespalt, der ihn quälte, obwohl sich auf seinem strengen Gesicht nichts davon spiegelte. In demselben Zwiespalt hatten wir uns befunden, als wir entscheiden mußten, ob wir mit den Männern von Lallybroch in den Kampf ziehen sollten. Charles’ Aufstand stand auf des Messers Schneide; wenn sich ihm ein weiterer großer Clan wie der der MacKenzies von Leoch anschloß, könnte dies auch andere ermutigen, dem ungestümen jungen Prätendenten zu Hilfe zu eilen - und damit den Erfolg bringen. Falls das Unternehmen aber dennoch scheiterte, war dies das Ende der MacKenzies von Leoch.
Jamie hob bedächtig den Kopf und sah mich an. Auch du hast dabei ein Wörtchen mitzureden, schien sein Blick zu sagen. Was soll ich tun?
Auch Colums Blick ruhte auf mir, ich spürte mehr, als daß ich sah, wie er fragend die dicken Augenbrauen hob. Doch in Gedanken sah ich Hamish vor mir, einen rothaarigen zehnjährigen Jungen, der Jamie so ähnlich sah, als wäre er sein Sohn und nicht sein Cousin. Und ich dachte nach, was die Entscheidung für ihn und seinen Clan bedeutete, falls die MacKenzies von Leoch mit Charles in Culloden untergingen. Die Männer von Lallybroch hatten Jamie, der sie vor dem letzten Gemetzel bewahren würde, falls es soweit kommen sollte. Die Männer von Leoch hatten niemanden. Und dennoch, es war nicht an mir, die Entscheidung zu treffen. Ich zuckte die Schultern und senkte den Kopf. Jamie holte tief Luft; er hatte sich entschieden.
»Geh zurück nach Leoch, Onkel«, sagte er. »Und bleibe dort mit deinen Männern.« Colum blieb lange Zeit reglos sitzen und sah mich an. Dann verzog er seinen Mund - aber es wurde nicht ganz ein Lächeln.
»Ich hätte Ned Gowan beinahe daran gehindert, dich vor dem Scheiterhaufen zu retten«, sagte er zu mir. »Ich bin froh, daß ich es nicht getan habe.«
»Danke«, gab ich zurück.
Er seufzte und rieb sich den Nacken mit seiner schwieligen Hand, als trüge er schwer an der Last der Clanführung.
»Gut. Ich werde morgen früh mit Seiner Hoheit sprechen und ihm meine Entscheidung mitteilen.« Er ließ die Hand sinken. »Ich danke dir, Jamie, für deinen Rat.« Und nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Gott sei mit dir.«
Jamie legte seine Hand auf die Colums. Er lächelte breit und freundlich und sagte: »Mit dir auch, mo caraidh.«
Auf der Royal Mile herrschte geschäftiges Treiben, überall drängten sich Menschen, die die nachmittäglichen Sonnenstrahlen ausnutzen wollten. Schweigend gingen wir durch die Menge, meine Hand hatte ich unter Jamies
Weitere Kostenlose Bücher