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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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großen Galerie, alles Porträts von Königen und Königinnen. Und in einem Punkt sahen sich alle verblüffend ähnlich.
    »Oh, die Nase?« sagte er, und ein amüsiertes Lächeln trat an die Stelle der grimmigen Miene, die er beim Anblick von Charles und dem Spanier aufgesetzt hatte. »Ja, natürlich. Kennen Sie die Geschichte, die dahintersteckt?«

    Die Porträts, so schien es, waren alle das Werk eines einzigen Malers, eines gewissen Jakob DeWitt, den Charles II. bei seiner Wiedereinsetzung beauftragt hatte, all seine Vorfahren zu porträtieren.
    »Um zu demonstrieren, wie weit er seinen Stammbaum rückverfolgen kann und um seinen Thronanspruch zu untermauern«, erklärte Kilmarnock und schnitt eine Grimasse. »Ob König James es ihm gleichtut, wenn er den Thron erlangt?«
    Jedenfalls, so fuhr er fort, hatte DeWitt sich wohl mit Feuereifer in die Arbeit gestürzt und alle zwei Wochen ein Porträt vollendet. Die Schwierigkeit bestand natürlich darin, daß DeWitt keine Ahnung hatte, wie Charles’ Vorfahren ausgesehen hatten. Er holte alle möglichen Leute als Modell in sein Atelier, stattete aber jedes Porträt mit der gleichen langen Nase aus, um eine familiäre Ähnlichkeit vorzutäuschen.
    »Dies hier ist König Charles selbst«, sagte Kilmarnock und wies mit dem Kopf auf ein Ganzporträt, prächtig mit rotem Samt und Federhut. Er warf einen kritischen Blick auf den anderen Charles, dessen gerötetes Gesicht darauf schließen ließ, daß er dem Wein ebenso freudig zusprach wie sein Gast.
    »Jedenfalls hat er eine bessere Nase«, murmelte der Graf vor sich hin. »Seine Mutter war Polin.«
    Es war bereits spät geworden, die Kerzen in den silbernen Kandelabern fingen an zu flackern und drohten zu verlöschen, noch ehe die feine Gesellschaft von Wein und Tanz genug hatte. Don Francisco, der wohl doch weniger vertrug als Charles, ließ den Kopf in seine Halskrause sinken.
    Jamie hatte die letzte Miß Williams mit einem Ausdruck sichtlicher Erleichterung zu ihrem Vater geleitet, der im Aufbruch begriffen war, und gesellte sich nun zu mir. Er setzte sich neben mich und fuhr sich mit einem großen weißen Taschentuch über das erhitzte Gesicht. Dann streckte er die Hand nach dem Tischchen aus, auf dem ein Tablett mit Kuchen stand.
    »Ich bin am Verhungern«, erklärte er. »Das Tanzen macht furchtbar Appetit, und dann das ständige Geplapper.« Er schob sich ein riesiges Kuchenstück in den Mund und streckte, noch während er kaute, die Hand nach dem nächsten aus.
    Prinz Charles beugte sich über seinen Ehrengast, der dasaß und sich nicht mehr rührte, und rüttelte ihn an der Schulter, was wenig
nutzte. Der Kopf des spanischen Gesandten war nach hinten gefallen, und sein Mund unter dem schlaffen Schnurrbart stand offen. Seine Hoheit, selbst etwas wackelig auf den Beinen, blickte sich hilfesuchend um, aber Sheridan und Tullibardine, beide schon ältere Herren, waren eingeschlafen - sie lehnten aneinander wie zwei alte Saufbrüder im Sonntagsstaat.
    »Vielleicht solltest du Seiner Hoheit zur Hand gehen?« schlug ich vor.
    »Mmmpf.«
    Resigniert schluckte Jamie seinen Kuchen hinunter, doch noch bevor er aufstand, sah ich, wie der junge Simpson, der die Lage mit einem Blick erfaßt hatte, seinen Vater in die Rippen stieß.
    Der trat vor und verbeugte sich vor Prinz Charles, und noch ehe der benebelte Prinz reagieren konnte, hatten die beiden Waffenschmiede den spanischen Gesandten an Händen und Füßen gepackt. Sie hoben ihn hoch und trugen ihn davon. Sie verschwanden durch die Tür am anderen Ende der Halle. Seine Hoheit taumelte hinterdrein.
    Mit diesem wenig feierlichen Abgang war der Ball zu Ende.
    Die übrigen Gäste schienen sich zu entspannen und rüsteten sich zum Aufbruch, die Damen verschwanden, um ihre Schals und Mäntel zu holen, die Herren standen unterdessen in kleinen Grüppchen ungeduldig herum und klagten, wie lange die Damen doch immer brauchten.
    Da wir in Holyrood wohnten, gingen wir durch die Tür am nördlichen Ende der Galerie nach draußen und durchquerten den Morgen- und den Abendsalon bis zur Haupttreppe.
    Die Wände waren mit Gobelins geschmückt, deren Ornamente im Kerzenlicht düster und silbrig glänzten. Am Treppenabsatz stand Angus Mhor, dessen hünenhafte Gestalt einen langen Schatten an die Wand warf.
    »Mein Herr ist tot«, sagte er.
     
    »Seine Hoheit meinte, es sei vielleicht besser so«, bemerkte Jamie sarkastisch.
    »Weil Dougal«, fügte er hinzu, als er meine Bestürzung sah,

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