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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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euch gern?«
    Jamie schwieg, nickte aber leicht und betrachtete dabei seinen Onkel, als suchte er in dessen müdem Gesicht die Lösung für ein Rätsel.
    Auch Colum nickte. »Zwischen Ellen und mir war es so. Ich war ein kränkliches Kind, und sie kümmerte sich oft um mich. Ich sehe sie noch genau vor mir, wie die Sonne auf ihr Haar scheint, und sie mir Geschichten erzählt, während ich im Bett liege. Auch später, als
meine Beine mich nicht mehr trugen, durchstreifte sie ganz Leoch und kam jeden Morgen und Abend in mein Zimmer, um mir zu erzählen, was sie gesehen und gehört hatte. Wir unterhielten uns über die Pächter und die Clanangehörigen und was zu tun sei. Dann heiratete ich, aber Letitia hatte keinen Sinn für diese Dinge.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Wir unterhielten uns - manchmal mit Dougal, manchmal ohne ihn - über die Geschicke des Clans; wie unter den Stämmen Frieden bewahrt, welche Bündnisse mit anderen Clans geschlossen, wie die Äcker und Wälder bestellt werden sollten... Und dann ging sie.« Er schwieg und blickte auf seine derben Hände. »Ohne um Erlaubnis zu fragen und ohne ein Wort des Abschieds. Sie war einfach nicht mehr da. Ich hörte hin und wieder etwas von ihr - durch andere, aber sie selbst gab nie ein Lebenszeichen.«
    »Hat sie denn deinen Brief nicht beantwortet?« fragte ich behutsam. Er schüttelte den Kopf.
    »Sie war krank. Sie hatte ein Kind verloren, und sie hatte die Pocken. Vielleicht wollte sie später schreiben; so etwas schiebt man gerne etwas auf.« Er lächelte flüchtig, dann verdüsterte sich sein Blick. »Zwölf Monate später, an Weihnachten, war sie tot.«
    Jamie hielt seinem Blick stand.
    »Es erstaunte mich nicht wenig, als mir dein Vater schrieb, er wolle dich zu Dougal schicken und auch zu mir nach Leoch.«
    »Es wurde so abgemacht, als sie heirateten«, erwiderte Jamie. »Ich sollte bei Dougal erzogen werden und dann eine Zeitlang auch zu dir kommen.« Die Zweige einer Lärche rauschten im Wind, und Jamie und Colum zogen fröstelnd die Schultern hoch. Die Bewegung betonte ihre Ähnlichkeit.
    Colum sah, daß ich lächelte, und zog seinerseits einen Mundwinkel hoch.
    »Oh, aye«, sagte er zu Jamie. »Doch Abmachungen sind nur so viel wert wie diejenigen, die sie treffen. Und ich kannte deinen Vater damals noch nicht.«
    Er hielt inne und schwieg. Die Stille des Kirchhofs legte sich wie ein Schleier zwischen sie.
    Schließlich brach Jamie das Schweigen.
    »Was hast du von meinem Vater gehalten?« fragte er, und in seiner Stimme lag die Neugier eines Kindes, das seine Eltern früh verloren hat und jetzt nach Anhaltspunkten sucht, um sich ein
Urteil zu bilden, das über die beschränkte kindliche Perspektive hinausgeht. Ich verstand ihn gut; das wenige, was ich von meinen eigenen Eltern wußte, hatte ich mir aus Onkel Lambs knappen und wenig befriedigenden Auskünften zusammengereimt - Onkel Lamb hatte keine Ader für tiefgründige Charakteranalysen gehabt.
    Colum war da anders.
    »Wie er war, meinst du?« Er betrachtete seinen Neffen eindringlich, dann schmunzelte er.
    »Schau in den Spiegel, mein Junge«, sagte er, »du blickst in das Gesicht deiner Mutter, doch daraus sieht dich dein Vater mit den verdammten Katzenaugen der Frasers an.« Er streckte seine Gliedmaßen und rutschte auf der Steinbank hin und her. Seine Lippen waren fest aufeinandergepreßt, damit ihm keine Klage über sein körperliches Unbehagen entschlüpfte. Jetzt sah ich, wie er zu den tiefen Falten zwischen Nase und Mund gekommen war.
    »Um deine Frage zu beantworten«, fuhr er fort, nachdem er sich in eine bequemere Position gebracht hatte. »Ich mochte ihn nicht übermäßig - er mich übrigens auch nicht -, aber auf den ersten Blick erkannte ich, daß er ein Ehrenmann war.« Er machte eine Pause, dann fuhr er ruhig fort: »Das gleiche gilt für dich, Jamie MacKenzie Fraser.«
    Jamie zeigte keine Regung, doch seine Augenlider flatterten kaum merklich. Nur jemand, der ihn so gut kannte wie ich - oder ein so guter Beobachter wie Colum -, konnte dies wahrnehmen.
    Colum stieß einen tiefen Seufzer aus.
    »Also, mein Junge, deshalb wollte ich mit dir sprechen. Ich muß entscheiden, ob die MacKenzies von Leoch sich auf die Seite von König James oder auf die Seite von König George stellen sollen.« Er lächelte verdrießlich. »Es ist eine Wahl zwischen zwei gleich großen Übeln, aber ich muß eine Entscheidung treffen.«
    »Dougal...«, begann Jamie, aber sein Onkel

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