Die Geliehene Zeit
einfordern!«
Die schottischen Clanführer, die sich im Morgensalon versammelt hatten, tauschten zweifelnde Blicke, räusperten sich und rutschten unruhig hin und her. Diese Nachricht wurde keineswegs mit großer Begeisterung aufgenommen.
»Äh, Eure Hoheit«, begann Lord Kilmarnock vorsichtig. »Wäre es nicht klüger...?«
Sie versuchten es. Alle versuchten es. Schottland, betonten sie, gehörte Charles doch schon, und zwar voll und ganz. Immer noch strömten Männer aus dem Norden herbei, im Süden jedoch schien es weiterhin wenig Aussicht auf Unterstützung zu geben. Und den schottischen Lords war nur allzusehr bewußt, daß die Hochlandschotten zwar verwegene Kämpfer und treue Gefolgsleute von Prinz Charles, in erster Linie aber Bauern waren. Die Felder mußten gepflügt, und das Vieh mußte für den Winter versorgt werden. Die meisten Männer würden sich in den Wintermonaten nicht dazu bewegen lassen, tief in den Süden zu ziehen.
»Diese Männer - sind sie denn nicht meine Untertanen? Sie gehen nicht dahin, wo ich befehle? Unsinn!« meinte Charles entschieden. Und damit war die Sache erledigt. Beinahe.
»James, mein Freund! Warten Sie, ich möchte einen Augenblick mit Ihnen unter vier Augen sprechen, wenn Sie gestatten.« Seine Hoheit wandte sich von Lord Pitsligo ab, den er eben mit scharfen Worten zurechtgewiesen hatte.
Ich glaubte nicht, daß ich zu dieser Unterredung eingeladen war. Doch ich hatte nicht die Absicht zu gehen, und während die jakobitischen Lords und Clanführer murmelnd hinausgingen, machte ich keine Anstalten, mich von dem Stuhl zu erheben, auf dem ich saß.
»Ha!« Charles schnippte verächtlich mit den Fingern zur Tür hin, die sich hinter ihnen schloß. »Alte Weiber, allesamt! Sie werden schon sehen. Wie mein Cousin Louis, wie Philipp - bin ich auf ihre Hilfe angewiesen? Ich zeige es ihnen.« Seine weißen, manikürten Finger tippten auf seine Brust. Unter dem Seidenbrokat seines Mantels war ein rechteckiges Medaillon zu sehen. Er trug Louises Bild bei sich. Ich hatte es gesehen.
»Ich wünsche Eurer Hoheit viel Glück bei Eurem Unternehmen«, murmelte Jamie, »aber...«
»Ah, vielen Dank, cher James! Wenigstens Sie glauben an mich!« Charles legte Jamie freundschaftlich den Arm um die Schultern.
»Ich bin untröstlich, daß Sie mich nicht begleiten werden, daß Sie nicht an meiner Seite reiten werden, wenn ich auf meinem Marsch nach England die Jubelrufe meiner Untertanen entgegennehme«, sagte Charles und drückte James Schulter noch fester.
»Werde ich nicht dabeisein?« Jamie sah verblüfft aus.
»Leider, mon cher ami, die Pflicht verlangt ein großes Opfer von Ihnen. Ich weiß, wie sehr Ihr großes Herz den Kampfesruhm ersehnt, aber ich brauche Sie für eine andere Aufgabe.«
»Ja?« fragte Jamie.
»Wofür?« fragte ich frech dazwischen.
Charles warf einen unmutigen Blick in meine Richtung. Dann wandte er sich wieder an Jamie und fuhr wohlwollend fort: »Es ist eine Aufgabe von großer Wichtigkeit, mein lieber James, die nur Sie allein erfüllen können. Es stimmt, daß dem Banner meines Vaters scharenweise Anhänger zuströmen; jeden Tag werden es mehr. Dennoch dürfen wir uns nicht in Sicherheit wiegen, nicht wahr? Durch einen glücklichen Umstand haben sich mir die MacKenzies angeschlossen. Aber es gibt noch die andere Seite Ihrer Familie, nicht wahr?«
»Nein!« sagte Jamie. Ein Ausdruck des Entsetzens huschte über sein Gesicht.
»Aber ja«, erwiderte Charles. Schwungvoll trat er Jamie gegenüber und strahlte übers ganze Gesicht. »Sie werden in den Norden ziehen, in das Land Ihrer Väter, und an der Spitze des Fraser-Clans zu mir zurückkehren!«
40
Der Fuchsbau
»Kennst du ihn gut, deinen Großvater?« fragte ich und schlug nach einer in dieser Jahreszeit eher seltenen Pferdebremse, die sich zwischen mir und dem Pferd nicht entscheiden konnte.
Jamie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich habe gehört, daß er sich wie ein altes Ungeheuer aufführt, aber du brauchst keine Angst vor ihm zu haben.« Er lächelte mich an, als ich die Pferdebremse mit einem Zipfel meines Umhängetuchs verscheuchte. »Ich bin ja bei dir.«
»Ach, gegen ruppige Alte habe ich nichts«, versicherte ich ihm. »Ich habe viele solcher Männer gekannt, zu meiner Zeit. Rauhe Schale, weicher Kern, die meisten. So stelle ich mir auch deinen Großvater vor.«
»Hm, nein«, erwiderte er nachdenklich. »So ist er nicht. Er ist wirklich ein altes Ungeheuer. Und wenn er merkt, daß man
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