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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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etwas.
    Als der Hustenanfall nachließ, verfärbte sich Alexander Randalls Gesicht zu einem käsigen Weiß. Seine Lippen waren bläulich, und er atmete schwer.
    Ich blickte mich suchend im Zimmer um, öffnete dann aber
meinen Medizinkasten und zog einen Bogen steifes Pergament heraus. Es war an den Rändern etwas eingerissen, doch das machte nichts. Ich setzte mich auf den Bettrand und lächelte Alexander zuversichtlich an.
    »Nett... daß Sie... gekommen sind«, stieß er hervor und kämpfte dabei gegen den Husten.
    »Es wird Ihnen gleich besser gehen«, beruhigte ich ihn. »Sprechen Sie nicht und unterdrücken Sie Ihren Husten nicht. Ich muß die Geräusche hören.«
    Sein Hemd war offen und entblößte seine eingefallene Brust. Er war nur noch Haut und Knochen; er war immer schlank gewesen, aber die Krankheit hatte ihn im Laufe des letzten Jahres ausgezehrt.
    Ich rollte das Pergament zu einer Röhre zusammen, setzte das eine Ende auf seine Brust und hielt mein Ohr an das andere. Es war ein primitives Stethoskop, aber es tat seine Dienste.
    Ich hörte ihn an verschiedenen Stellen ab und hieß ihn tief einatmen. Daß er husten sollte, mußte ich ihm nicht eigens sagen.
    »Legen Sie sich auf den Bauch.« Ich zog sein Hemd hoch und hörte ihn auch am Rücken ab, klopfte ihn ab und prüfte die Resonanz der Lungenflügel. Seine Haut war schweißnaß.
    »Gut. Und jetzt legen Sie sich wieder auf den Rücken. Bleiben Sie einfach ruhig liegen und entspannen Sie sich. Es wird nicht weh tun.« Ich fuhr fort, ihn mit Worten zu beruhigen, während ich das Weiße seiner Augen untersuchte, die geschwollenen Lymphdrüsen an seinem Hals, die belegte Zunge und die entzündeten Mandeln.
    »Sie haben eine Erkältung«, stellte ich fest und klopfte ihm auf die Schultern. »Ich werde Ihnen einen Tee aufbrühen, der den Husten mildert. Unterdessen...« Ich deutete angewidert auf den mit einem Deckel verschlossenen Nachttopf unter dem Bett und sah dabei Jack Randall an, der wartend an der Tür stand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, aufrecht wie bei einer Truppenparade.
    »Leeren Sie das hier aus«, befahl ich. Randall starrte mich wütend an, doch dann gab er sich einen Ruck und gehorchte.
    »Nicht aus dem Fenster!« sagte ich streng, als er einen Schritt in diese Richtung machte. »Bringen Sie den Topf runter!« Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

    Alexander atmete flach, und als sich die Tür hinter seinem Bruder schloß, lächelte er mich an. Seine blasse, beinahe durchscheinende Haut straffte sich über dem knochigen Gesicht.
    »Schnell, bevor Johnny wiederkommt. Wie ernst ist es?«
    Sein dunkles Haar war zerzaust. Ich bemühte mich, die Gefühle zu unterdrücken, die in mir aufstiegen, und strich ihm das Haar glatt. Eigentlich wollte ich es ihm nicht sagen, aber er wußte es sicher schon.
    »Sie haben eine Erkältung. Und Sie haben Tuberkulose. Schwindsucht.«
    »Und?«
    »Und Sie leiden an Herzschwäche«, fuhr ich fort und sah ihm in die Augen.
    »Ich dachte... es mir schon. In meiner Brust flattert es manchmal... wie ein kleiner Vogel.« Er legte die Hand auf sein Herz.
    Ich konnte den Anblick seines eingefallenen Brustkorbs, der sich unter den schweren Atmenzügen hob und senkte, nicht ertragen, und band ihm das Hemd zu. Eine schmale, weiße Hand griff nach der meinen.
    »Wie lange noch?« fragte er. Er sprach leichthin, beinahe unbeschwert, wie aus spielerischer Neugier.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Das ist die Wahrheit. Ich weiß es nicht.«
    »Aber es dauert nicht mehr lange«, erwiderte er mit Nachdruck.
    »Nein. Nicht mehr lange. Vielleicht ein paar Monate, aber sicher weniger als ein Jahr.«
    »Können Sie... etwas gegen den Husten tun?«
    Ich griff in meinen Medizinkasten. »Ja, ich kann ihn zumindest mildern. Und gegen das Herzflattern kann ich Ihnen ein Digitalisextrakt machen.« Ich kramte das kleine Päckchen getrockneter Fingerhutblätter hervor. Es würde einige Zeit dauern, das Mittel zu brauen.
    »Ihr Bruder«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Wollen Sie, daß ich...«
    »Nein«, erwiderte er entschlossen. Sein Mund verzog sich, und er sah Frank in diesem Augenblick so ähnlich, daß ich am liebsten um ihn geweint hätte.
    »Nein«, wiederholte er. »Er weiß es wohl schon. Wir... haben... immer alles voneinander gewußt.«

    »Tatsächlich?« Ich blickte ihn fragend an. Er hielt meinem Blick stand und lächelte schwach.
    »Ja«, nickte er.

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