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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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auch. Er soll mich so nehmen, wie ich bin.«
    »Aber Murtagh sagt, du hast ihn nie kennengelernt!«
    »Mmmpf.« Er wischte sich die restlichen Brotkrumen vom Hemd und runzelte die Stirn, als überlegte er, wieviel er mir erzählen sollte. Schließlich zuckte er die Achseln und legte sich zurück. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt, blickte er hinauf in die Wolken.
    »Also, getroffen haben wir uns nie, das stimmt. Nicht ganz. Es war nämlich so...«
    Im Alter von siebzehn Jahren bestieg der junge Jamie Fraser ein Schiff nach Frankreich, um in Paris seine Bildung zu vervollkommnen und Dinge zu lernen, die nicht in den Büchern stehen.
    »Ich stach vom Hafen von Beauly aus in See«, erzählte er und machte eine Kopfbewegung zum nächsten Hügel, wo ein grauer Streifen am Horizont die Bucht von Moray anzeigte. »Ich hätte auch von anderen Häfen aus fahren können - der nächstgelegene
wäre Inverness gewesen -, aber mein Vater hatte meine Überfahrt gebucht, und deshalb fuhr ich von Beauly aus. Er begleitete mich, um mich in die weite Welt hinauszuschicken.«
    Brian Fraser hatte Lallybroch seit seiner Heirat kaum verlassen, und er genoß es, seinem Sohn die Stellen zu zeigen, wo er als Kind und als junger Mann gejagt und Streifzüge unternommen hatte.
    »Aber als wir uns Burg Beaufort näherten, wurde er immer schweigsamer. Er hatte während der ganzen Reise nicht von meinem Großvater gesprochen, und ich hütete mich, selbst davon anzufangen. Aber ich wußte, daß er seine Gründe dafür hatte, mich von Beauly aus loszuschicken.«
    Spatzen schossen aus den Büschen, hüpften vorsichtig heran und verschwanden rasch wieder. Als Jamie das sah, griff er nach einem Stück Brot und warf es in den auseinanderstiebenden Spatzenschwarm.
    »Sie kommen wieder«, sagte er und legte sich einen Arm übers Gesicht, als wollte er sich vor der Sonne schützen. Dann fuhr er mit seiner Geschichte fort.
    »Von der Straße, die zur Burg führte, ertönte Pferdegetrappel, und als wir uns umwandten, sahen wir einen kleinen Zug, der langsam näher kam - sechs Reiter mit einem Wagen, und einer von ihnen trug Lovats Banner. So wußte ich, daß mein Großvater unter ihnen war. Ich warf einen Blick auf meinen Vater, um zu sehen, ob er irgend etwas zu tun gedachte, aber er lächelte nur, faßte mich am Arm und sagte: >Gehen wir also an Bord, mein Junge.<
    Ich spürte den Blick meines Großvaters auf mir, als wir zum Ufer hinuntergingen, wo doch mein ganzes Äußeres lautstark verkündete, daß ich von den MacKenzies abstammte. Ich war froh, daß ich meine besten Kleider angezogen hatte und nicht wie ein Bettler daherkam. Zwar blickte ich mich nicht um, aber ich stand so aufrecht ich konnte, und ich war stolz, daß ich den größten Mann am Hafen um einen halben Kopf überragte. Mein Vater ging neben mir, schweigsam wie immer. Auch er blickte sich nicht um, aber ich spürte seinen Vaterstolz.«
    Er lächelte mich an.
    »Das war das letztemal, daß ich sicher war, ihm Ehre gemacht zu haben, Sassenach. Später war ich oft nicht so sicher, aber über diesen einen Tag war ich froh.«

    Er schlang die Arme um seine Knie und starrte vor sich hin, als sähe er die Szene am Kai noch genau vor sich.
    »Wir gingen an Bord des Schiffes und begrüßten den Kapitän, dann stellten wir uns ans Schanzkleid und unterhielten uns noch ein wenig. Wir achteten darauf, die Männer aus Beaufort nicht anzusehen. Dann gab der Kapitän Befehl, die Leinen loszuwerfen. Ich küßte meinen Vater, und er sprang über das Schanzkleid hinunter zum Kai und ging zu seinem Pferd. Er sah sich erst um, als er auf seinem Pferd saß, doch da hatte das Schiff bereits abgelegt.
    Ich winkte, und er winkte zurück, dann wandte er sich um und ritt nach Lallybroch heim. Und auch die Männer von Beaufort machten sich auf den Heimweg. Und dann ritten mein Vater und mein Großvater im Abstand von zwanzig Metern den Hügel hinauf, bis sie meinem Blick entschwunden waren. Beide vermieden es, sich anzusehen, und taten so, als wäre der andere nicht vorhanden.«
    Er blickte die Straße entlang, als ob er ein Lebenszeichen aus der Richtung von Beaufort erwartete.
    »Ich sah ihm in die Augen«, sagte er leise. »Einmal. Ich wartete, bis mein Vater bei seinem Pferd war, dann drehte ich mich um und sah Lord Lovat an, so kühn und trotzig ich konnte. Ich wollte, daß er wußte, daß wir nichts von ihm erbaten, daß wir aber auch keine Angst vor ihm hatten.« Jamie verzog den Mund zu einem Lächeln.

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