Die Geliehene Zeit
»Ich weiß, wie es um ihn steht. Es spielt keine Rolle.«
Ach? Tatsächlich? dachte ich. Für dich vielleicht nicht. Um mich nicht zu verraten, wandte ich mich ab und zündete das Alkohollämpchen an, das ich bei mir trug.
»Er ist mein Bruder«, sagte die sanfte Stimme hinter mir. Ich holte tief Luft und bemühte mich, nicht zu zittern, als ich die Blätter abmaß.
»Ja«, sagte ich. »Das stimmt.«
Nachdem sich die Nachricht von Copes überraschender Niederlage von Prestonpans verbreitet hatte, traf Verstärkung in Form von Männern und Geld aus dem Norden ein. Lord Ogilvy, der älteste Sohn des Grafen von Airlie, kam mit sechshundert Pächtern seines Vaters, Stewart von Appin traf an der Spitze von vierhundert Männern aus den Grafschaften Aberdeen und Banff ein. Lord Pitsligo war fast ganz allein für die Kavallerie der Hochlandarmee verantwortlich und brachte eine große Zahl von Edelleuten samt Bediensteten aus den nordöstlichen Grafschaften mit - alle beritten und gut bewaffnet, jedenfalls im Vergleich zu manchen Clansmännern, die mit den Säbeln und Breitschwertern ausgerüstet waren, die ihre Großväter noch vom Aufstand des Jahres 1715 herübergerettet hatten, und mit rostigen Äxten und Mistgabeln, mit denen sie noch vor kurzem die Kuhställe gereinigt hatten.
Es war ein buntgemischter Haufen, deshalb aber noch lange nicht ungefährlich, überlegte ich und bahnte mir meinen Weg durch eine Gruppe Männer, die sich um einen umherziehenden Scherenschleifer versammelt hatten. Gleichmütig schliff er Dolche, Rasierklingen und Sensen. Ein englischer Soldat, der diesen Waffen gegenübertrat, riskierte eher Wundstarrkrampf als den sofortigen Tod, aber im Grunde lief dies ja auf dasselbe heraus.
Lord Lewis Gordon, der jüngere Bruder des Herzogs von Gordon, war erschienen, um Charles in Holyrood zu huldigen. Er brachte das verlockende Versprechen mit, den gesamten Gordon-Clan zu mobilisieren. Doch vom Handkuß bis zur Bereitstellung von Männern war es ein weiter Weg.
Und im schottischen Tiefland war man zwar bereit, Charles’ Sieg
mit lautem Beifall zu begrüßen, aber nicht gewillt, Männer zu seiner Unterstützung zu schicken. Fast die gesamte Armee der Stuarts bestand aus Hochlandschotten, und das schien sich auch in absehbarer Zeit nicht zu ändern. Das Tiefland hatte seinen Beitrag allerdings auf andere Weise geleistet. Von Lord George Murray hatte ich erfahren, daß durch die Beschlagnahme von Nahrungsmitteln, Waren und Geld von den Burgen im Süden die Heereskasse wieder gefüllt worden war.
»Wir haben fünftausendfünfhundert Pfund allein aus Glasgow erhalten. Das ist zwar nicht viel im Vergleich zu dem Geld, das uns Frankreich und Spanien versprochen haben«, hatte Seine Lordschaft Jamie anvertraut, »aber ich nehme es, ohne die Nase zu rümpfen, besonders, da Seine Hoheit aus Frankreich bisher kein Gold, sondern nur leere Versprechungen erhalten hat.«
Jamie, der wußte, wie unwahrscheinlich es war, daß wir je französisches Gold sehen würden, hatte dazu bloß genickt.
»Hast du heute etwas gehört, mo duinne? « fragte er mich, als ich hereinkam. Vor ihm lag ein halbfertiger Bericht, und er tauchte eben seine Feder ins Tintenfaß. Ich zog mir die feuchte Kapuze vom Kopf und nickte.
»Es geht das Gerücht um, daß General Hawley im Süden Kavallerieeinheiten zusammenzieht. Er hat den Befehl, acht Regimenter zu bilden.«
Jamie seufzte. Angesichts der Abneigung der Hochlandschotten gegen Kavalleriegefechte waren dies keine guten Nachrichten. Geistesabwesend kratzte er sich am Rücken.
»Gut, ich teile es Oberst Cameron mit«, sagte er. »Und wie verläßlich ist dieses Gerücht, Sassenach?« Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte er sich, daß wir allein waren. Sassenach nannte er mich nur, wenn wir allein waren, in der Öffentlichkeit sagte er Claire zu mir.
»Du kannst unbesorgt sein«, erwiderte ich. »Die Quelle ist verläßlich.«
Es handelte sich keineswegs um ein Gerücht; es war die neueste Information von Jack Randall, mit der er die Behandlung seines Bruders abzahlte.
Jamie wußte selbstverständlich, daß ich mich um Alexander Randall ebenso kümmerte wie um die Kranken der jakobitischen
Armee. Was er nicht wußte, und was ich ihm um keinen Preis der Welt hätte sagen können, war, daß ich mich einmal in der Woche - manchmal auch öfter - mit Jack Randall traf, um zu erfahren, welche Nachrichten aus dem Süden in der Burg von Edinburgh
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