Die Geliehene Zeit
französische Spionin?«
Ich rieb mir die Nasenwurzel, um meine Kopfschmerzen zu lindern. Die korrekte Antwort lautete »nichts von alledem«, aber damit würde ich nicht weit kommen.
»Die Gastlichkeit dieses Hauses läßt, gemessen an seiner Einrichtung, zu wünschen übrig«, sagte ich so hochmütig, wie ich es unter den gegebenen Umständen zuwege brachte - es hätte zwar überzeugender ausfallen können, aber das Vorbild einer großen Dame,
das Louise mir gegeben hatte, war nicht ganz an mich verschwendet.
Der Herzog stieß ein hohes, schrilles Lachen aus, wie eine Fledermaus, die gerade einen guten Witz gehört hat.
»Verzeihen Sie, Madam. Sie haben vollkommen recht. Ich hätte Ihnen eine Erfrischung anbieten sollen, bevor ich mir anmaße, Ihnen Fragen zu stellen. Wie gedankenlos von mir.«
Leise gab er dem Lakai, der auf sein Klingeln hin erschienen war, Anweisungen. Dann stellte er sich vor den Kamin und wartete seelenruhig auf das Eintreffen des Tabletts. Unterdessen sah ich mich im Raum um und warf ab und zu einen verstohlenen Blick auf meinen Gastgeber. An belanglosen Plaudereien waren wir beide nicht interessiert. Ungeachtet der herzoglichen Leutseligkeit herrschte im Augenblick lediglich Waffenstillstand, und das war uns beiden klar.
Ich hätte nur gern gewußt, warum. Mich interessierte brennend, welche Ziele der Herzog verfolgte. Oder welche Absichten er mir unterstellte. Er hatte mich als Mrs. Fraser kennengelernt, die Gattin des Gutsherren von Lallybroch. Nun stand ich als englische Geisel namens Beauchamp vor seiner Tür, die kürzlich vor einer Bande schottischer Jakobiten gerettet worden war. Das allein reichte, um verblüffte Fragen nach sich zu ziehen. Aber er zeigte ein Interesse an mir, das mehr war als schlichte Neugier.
Da wurde der Tee serviert. Der Herzog nahm seine Tasse und bedeutete mir, es ihm gleichzutun. Schweigend tranken wir unseren Tee. Irgendwo im Haus ertönte ein Hämmern. Mit leisem Klirren setzte der Herzog seine Teetasse ab - das Zeichen für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten.
»Nun denn«, sagte er mit soviel Festigkeit, wie ein Mann mit Fistelstimme zustande brachte. »Lassen Sie mich zunächst, Mrs. Fräser - ich darf Sie doch so nennen? Danke. Lassen Sie mich vorausschicken, daß ich schon viel über Sie weiß. Ich habe vor, noch mehr zu erfahren. Sie werden gut daran tun, meine Fragen vollständig und ohne Vorbehalte zu beantworten. Ich muß sagen, Mrs. Fraser, daß es erstaunlich schwierig ist, Sie zu töten«, lächelnd verneigte er sich vor mir, »aber ich bin sicher, daß es sich mit der nötigen Entschlossenheit doch noch zuwege bringen ließe.«
Reglos starrte ich ihn an, nicht aus angeborener Kaltblütigkeit, sondern einfach, weil ich sprachlos war. Wieder besann ich mich
auf einen von Louises Manierismen, zog beide Augenbrauen hoch, nippte an meinem Tee und betupfte mir dann mit der Serviette zierlich den Mund.
»Ich fürchte, Sie werden mich für beschränkt halten«, erwiderte ich höflich, »aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Wirklich nicht, meine Liebe?«
Die kleinen, wasserblauen Augen hielten meinem Blick stand. Er griff nach dem vergoldeten Silberglöckchen auf dem Tablett und klingelte.
Der Mann mußte im Nebenzimmer auf sein Zeichen gewartet haben, denn die Tür öffnete sich sofort. Er war groß und hager, und an seiner dunkelblauen Livree aus gutem Tuch erkannte ich den höhergestellten Dienstboten. Mit einer tiefen Verbeugung wandte er sich an den Herzog.
»Eure Hoheit? Er sprach englisch, aber mit unverkennbar französischem Akzent. Auch sein Gesicht wirkte französisch: blaß, lange Nase, schmale Lippen und ein Paar tiefrote Ohren, die wie kleine Flügel zu beiden Seiten abstanden. Sein mageres Gesicht wurde noch eine Spur blasser, als er aufblickte und mich sah. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
Sandringham beobachtete dies mit mißmutigem Stirnrunzeln, dann sah er mich lauernd an.
»Erkennen Sie ihn nicht?« fragte er.
Ich wollte gerade den Kopf schütteln, als die rechte Hand des Mannes plötzlich zuckte. So unauffällig wie möglich machte er das Zeichen gegen das Böse, die mittleren Finger gefaltet, Zeige- und kleinen Finger auf mich gerichtet. Da wurde es mir klar, und im nächsten Augenblick sah ich meine Ahnung bestätigt - der kleine Leberfleck an der Gabelung von Daumen und Zeigefinger.
Ich hatte nicht den geringsten Zweifel: Das war der Mann im getupften Hemd, der mich
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