Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Gesamteindruck beigetragen, er und die anderen Schotten hätten mir Gewalt angetan. Und dank des ausführlichen Briefes, den der Hauptmann meiner Retter geschrieben hatte,wußte jeder, dem ich später übergeben wurde, Bescheid - und vermutlich auch jeder, mit dem die Soldaten unterwegs sprachen. Nach meinen Erfahrungen in Paris wußte ich, wie schnell Klatsch die Runde machte.
    Auch Korporal Rowbotham hatte die Geschichte bestimmt gehört, aber er behandelte mich stets freundlich, ohne das süffisante Grinsen, das ich zuweilen auf den Gesichtern der anderen Soldaten entdeckte. Wenn ich die Angewohnheit gehabt hätte, vor dem Schlafen zu beten, hätte ich ihn in meine Fürbitten miteingeschlossen.
    Ich stand auf, klopfte meinen Mantel ab, und begab mich zu meinem Zelt. Als Korporal Rowbotham das sah, erhob er sich
ebenfalls, umrundete unauffällig das Feuer und setzte sich wieder zwischen seine Kameraden, so daß er den Zelteingang im Rücken hatte. Sobald sich die Soldaten auf ihrer Decke ausstreckten, würde er sich in respektvollem Abstand, aber noch in Rufweite von meinem Lager niederlassen. So hatte er es auch in den vergangenen drei Nächten getan, ganz gleich, ob wir im Gasthaus oder auf freiem Felde übernachteten.
    Drei Nächte zuvor hatte ich wieder einmal einen Fluchtversuch unternommen. Hauptmann Mainwaring war sich darüber im klaren, daß ich nicht freiwillig mit ihm reiste, und obwohl ich ihm zur Last fiel, war er zu pflichtbewußt, als daß er sich vor der Verantwortung gedrückt hätte. Folglich teilte er mir zwei Wächter zu, die tagsüber an meiner Seite ritten.
    Nachts wurde ich weniger streng bewacht, denn der Hauptmann hielt es offensichtlich für unwahrscheinlich, daß ich mitten im Winter allein und zu Fuß durch menschenleere Moore flüchten würde. Da hatte er völlig recht. Ich beabsichtigte nicht, Selbstmord zu begehen.
    An jenem Abend waren wir jedoch zwei Stunden, bevor wir unser Nachtlager aufschlugen, durch ein winziges Dorf gekommen. Selbst zu Fuß konnte ich es schaffen, den Weg zurück vor Tagesanbruch zu finden. Das Dorf besaß eine kleine Brennerei, von der aus mit Fässern beladene Wagen in verschiedene Städte der Umgebung abfuhren. Ich hatte den Hof der Brennerei gesehen, in dem sich die Fässer stapelten. Bestimmt konnte ich mich dort verstecken und mich am Morgen mit dem ersten Wagen aus dem Staub machen.
    Nachdem im Lager Ruhe eingekehrt war und die Soldaten schnarchend rund ums Feuer lagen, war ich also aus meiner Decke gekrochen, die ich in der Nähe einiger Trauerweiden ausgebreitet hatte, und hatte mir, geräuschlos wie das Säuseln des Windes, einen Weg durch die hängenden Zweige gebahnt.
    Als ich die Baumgruppe hinter mir hatte, meinte ich immer noch den säuselnden Wind zu hören, bis sich eine Hand auf meine Schulter legte.
    »Schreien Sie nicht, Sie wollen doch nicht, daß der Hauptmann hört, daß Sie sich heimlich davonschleichen.« Ich schrie nicht, aber nur deswegen, weil mir die Luft wegblieb. Der Soldat, ein langer Kerl, der sich immer viel Mühe gab, seine blonden Locken auszukämmen, lächelte mich an.

    Sein Blick wanderte über meine Brüste. Dann sah er mir seufzend in die Augen und trat einen Schritt auf mich zu. Hastig wich ich drei Schritte zurück.
    »Es ist doch eigentlich gleich, nicht wahr, Süße?« sagte er mit einem trägen Lächeln. »Nach allem, was passiert ist. Einmal mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied. Außerdem bin ich Engländer«, schmeichelte er. »Kein dreckiger Schotte.«
    »Laß die arme Frau in Ruhe, Jess.« Korporal Rowbotham trat lautlos aus dem Schutz der Weiden hervor. »Sie hat genug durchgemacht, die arme Dame.« Er sprach ruhig. Jessie warf ihm einen wütenden Blick zu, doch dann besann er sich, machte kehrt und verschwand.
    Schweigend wartete der Korporal, bis ich meinen zu Boden gefallenen Umhang aufgehoben hatte, dann geleitete er mich zurück zum Lager. Dort angelangt, holte er seine Decke, bedeutete mir, mich hinzulegen, und setzte sich etwa zwei Meter von mir entfernt nieder, die Decke nach Indianerart um die Schultern gelegt. Immer wenn ich während der Nacht aufwachte, sah ich ihn dasitzen und mit kurzsichtigen Augen ins Feuer starren.
     
    In Tavistock gab es tatsächlich ein Gasthaus. Mir blieb jedoch nicht viel Zeit, die Annehmlichkeiten des Hauses zu genießen. Wir kamen gegen Mittag in dem Dorf an, und Hauptmann Mainwaring machte sich sofort auf, seine diversen Botschaften zu überbringen. Doch

Weitere Kostenlose Bücher