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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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betrachtete das Cembalo, das in der Ecke stand. Auf dem Ständer lagen mehrere Notenblätter in einer schönen, klaren Handschrift. Fünfzigtausend Pfund stehen Euch zur Verfügung, sobald Eure Hoheit englischen Boden betreten. S. »S.« stand natürlich für Sandringham. Der Herzog lachte entzückt.
    »Wirklich klug von Ihnen, meine Liebe. Denn da Ihr Gatte, wie
ich hörte, völlig unmusikalisch ist, mußte der Einfall von Ihnen stammen.«
    »Eigentlich nicht von mir persönlich«, erwiderte ich und wandte mich wieder um. Da auf dem Tischchen neben mir weder Brieföffner noch stumpfe Gegenstände lagen, griff ich hastig nach einer Vase mit Treibhausblumen und vergrub mein Gesicht in den Blüten. Ich schloß die Augen und spürte die kühlen Blütenblätter an meinen plötzlich erhitzten Wangen. Aus Furcht, daß mein Gesicht mich verraten könnte, wagte ich es nicht aufzublicken.
    Denn im Fenster hinter dem Herzog hatte ich einen kürbisrunden Kopf erblickt, den die grünen Samtvorhänge umrahmten, als wäre er eines der exotischen Sammelstücke des Herzogs. Als ich die Augen öffnete und vorsichtig durch die Blumen spähte, sah ich ein breites Grinsen, das an eine Kürbislaterne erinnerte.
    Ich war hin und her gerissen zwischen Entsetzen und Erleichterung. Also hatte ich den Bettler am Tor doch richtig erkannt. Hugh Munro, ein Gefährte aus Jamies Zeit als Geächteter, war Schulmeister gewesen und auf See in türkische Gefangenschaft geraten. Entstellt durch die Folter, mußte er sich als Bettler und Wilderer durchschlagen - das damit erzielte Einkommen besserte er auf, indem er sich gelegentlich als Kundschafter betätigte. Ich hatte gehört, er sei ein Agent der Hochlandarmee, aber mir war nicht klar gewesen, daß ihn seine Tätigkeit so weit nach Süden führte.
    Wie lange saß er schon hier oben vor dem Fenster im ersten Stockwerk? Ich wagte nicht, mit ihm Kontakt aufzunehmen - ich hatte schon genug damit zu tun, einen Punkt hinter dem Herzog zu fixieren und scheinbar gleichgültig in die Luft zu starren.
    Der Herzog betrachtete mich interessiert. »Wirklich. Doch nicht etwa Gerstmann? Soviel Verstand hätte ich ihm nicht zugetraut.«
    »Aber mir schon? Ich fühle mich geschmeichelt.« Meine Nase senkte sich wieder in die Blumen, und ich sprach zerstreut in eine Päonie.
    Der Bettler vor dem Fenster löste eine Hand vom Efeu. Da ihm die Sarazenen die Zunge herausgeschnitten hatten, sprach Hugh Munro mit den Händen. Er blickte mich aufmerksam an, zeigte zuerst auf mich, dann auf sich und dann zur Seite. Die breite Hand neigte sich, und zwei Finger wurden zu Beinen, die nach Osten liefen. Ein letztes Zwinkern, eine zum Gruß geballte Faust, und fort war er.

    Die Spannung fiel von mir ab. Zitternd holte ich Luft. Dann mußte ich niesen und stellte die Blumen weg.
    »Demnach seid Ihr also Jakobit, nicht wahr?« fragte ich.
    »Nicht unbedingt«, erwiderte der Herzog freundlich. »Die Frage ist, meine Liebe, ob Sie es sind.« Gedankenverloren nahm er seine Perücke ab und kratzte sich die blonden, schütteren Haare, bevor er sie wieder aufsetzte.
    »In Paris haben Sie versucht, die Wiedereinsetzung von König James zu vereiteln. Nachdem dies gescheitert ist, treten Sie und Ihr Gemahl als die treuesten Gefolgsleute Seiner Hoheit auf. Warum?« In den kleinen blauen Augen las ich nichts als freundliche Neugier, doch er hatte nicht aus freundlicher Neugier einen Mordanschlag auf mich verübt.
    Seit ich wußte, wer mein Gastgeber war, versuchte ich krampfhaft, mich daran zu erinnern, was Frank und Reverend Wakefield über ihn gesagt hatten. War der Herzog tatsächlich ein Jakobit gewesen? Soweit ich mich erinnerte, war die Geschichte - vertreten durch Frank und den Reverend - zu keinem klaren Urteil gelangt. Und auch ich war unschlüssig.
    »Ich denke nicht, daß ich es Euch sagen werde«, antwortete ich bedächtig.
    Erstaunt zog er eine blonde Braue hoch, holte eine kleine Emailledose aus der Tasche und nahm eine Prise Schnupftabak.
    »Finden Sie das klug, meine Liebe? Danton ist noch in Rufweite.«
    »Danton würde mich nicht einmal mit einer drei Meter langen Stange anfassen«, erklärte ich schroff. »Und Ihr würdet das übrigens auch nicht tun. Nicht«, fügte ich hastig hinzu, als ich sah, wie er den Mund öffnete, »aus demselben Grund. Aber wenn Ihr unbedingt wissen wollt, auf welcher Seite ich stehe, dann werdet Ihr mich zumindest so lange leben lassen, bis Ihr es herausgefunden habt, nicht wahr?«
    Der Herzog

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