Die Geliehene Zeit
verschluckte sich an seinem Schnupftabak, nieste, hustete heftig und klopfte sich auf die Brust. Ich richtete mich auf und musterte ihn kühl.
»Wenn Ihr versucht, mich durch Drohungen zum Sprechen zu bringen, kommt Ihr nicht weit«, sagte ich mit weitaus mehr Selbstvertrauen, als ich empfand.
Sandringham betupfte sich die tränenden Augen mit einem Taschentuch.
Schließlich holte er tief Luft, stieß sie durch gespitzte Lippen wieder aus und starrte mich an.
»Nun gut«, sagte er halbwegs ruhig. »Ich denke, daß meine Handwerker nun die nötigen Veränderungen an Ihrem Zimmer vorgenommen haben. Eins der Mädchen wird Sie hinaufbegleiten.«
Ich mußte ihn ziemlich dumm angesehen haben, denn er lächelte spöttisch, während er sich aus seinem Stuhl hievte.
»Im Grunde spielt es keine Rolle«, bemerkte er. »Wer immer Sie sein mögen und welche Kenntnisse Sie auch besitzen, als Hausgast haben Sie eine unschätzbare Eigenschaft.«
»Und welche wäre das?« fragte ich. Die Hand an der Glocke, hielt er inne und lächelte.
»Sie sind die Gemahlin des roten Jamie«, sagte er leise. »Und er liebt Sie heiß und innig, nicht wahr, meine Liebe?«
Ich hatte schon schlimmere Gefängnisse gesehen. Der Raum maß der Länge und Breite nach etwa zehn Meter, und nur der Salon im ersten Stock war prunkvoller eingerichtet. Das Himmelbett stand auf einem kleinen Podest, die Damastvorhänge waren an den vier Bettpfosten üppig mit Pfauenfedern geschmückt, und vor dem gewaltigen Kamin luden zwei brokatbezogene Sessel dazu ein, es sich bequem zu machen.
Das Zimmermädchen, das mich hergeführt hatte, stellte den Wasserkrug und die Schüssel ab, die es trug, und beeilte sich, das vorbereitete Holzfeuer zu entfachen. Der Lakai stellte ein abgedecktes Tablett mit meinem Abendessen auf den Tisch neben der Tür und postierte sich dann breitbeinig vor dem Eingang, so daß an Flucht nicht zu denken war. Es hätte auch nicht viel Sinn gehabt, einen Versuch zu unternehmen, dachte ich verstimmt. Schon hinter der ersten Biegung des Korridors hätte ich mich verlaufen. Das verdammte Haus war ungefähr so groß wie der Buckinghampalast.
»Seine Hoheit hofft, daß Sie sich hier wohl fühlen, Madam«, sagte das Mädchen und verabschiedete sich mit einem zierlichen Knicks.
»Der? Ganz bestimmt!« erwiderte ich ungnädig.
Mit einem deprimierend dumpfen Schlag schloß sich die Tür hinter ihr, und das knirschende Geräusch, mit dem der große Schlüssel im Schloß umgedreht wurde, schien die letzte Schutzschicht von meinen strapazierten Nerven zu kratzen.
Vor Kälte zitternd, verschränkte ich die Arme und ging zum Feuer,
wo ich mich in einen Sessel fallen ließ. Am liebsten hätte ich meine Abgeschiedenheit dazu genutzt, einen netten kleinen hysterischen Anfall zu bekommen. Doch ich befürchtete, wenn ich meinen Gefühlen erst einmal freien Lauf ließ, würde ich sie nie wieder unter Kontrolle bekommen. Also schloß ich die Augen, betrachtete das rötliche Flackern auf der Innenseite meiner Lider und zwang mich zur Ruhe.
Schließlich befand ich mich im Augenblick außer Gefahr, und Hugh Munro war zu Jamie unterwegs. Selbst wenn Jamie im Lauf der Woche meine Spur verloren hatte, würde Hugh ihn finden und hierherführen. Hugh kannte in seinen vier Gemeinden jeden Kleinbauern und jeden fahrenden Kesselflicker, jeden Bauernhof und jedes Herrenhaus. Neuigkeiten und Klatsch verbreiteten sich rasch, und eine Botschaft des stummen Bettlers würde hurtig wie der Wind über die Hügel reisen. Falls es ihm gelungen war, unbemerkt von seinem luftigen Sitz im Efeu zu klettern und den Grund und Boden des Herzogs zu verlassen.
»Sei nicht albern«, redete ich mir Mut zu, »der Mann ist Wilderer von Beruf. Natürlich hat er es geschafft.« Das Echo, das die Stuckdecke zurückwarf, wirkte irgendwie tröstlich.
»Und wenn dem so ist«, fuhr ich fort, »dann wird Jamie kommen.«
Richtig, fiel es mir plötzlich ein. Und Sandringhams Leute werden ihn erwarten. Sie sind die Gemahlin des roten Jamie, hatte der Herzog gesagt. Meine einzige unschätzbare Eigenschaft. Ich war ein Lockvogel.
»Ich bin ein Köder!« rief ich und setzte mich kerzengerade auf. Das Unwürdige meiner Lage rief einen kleinen, aber willkommenen Wutanfall hervor, der die Angst ein wenig linderte. Ich versuchte, die Flammen meines Zorns zu schüren, indem ich mich erhob, auf-und ab ging und mir neue Schimpfnamen für den Herzog ausdachte, die ich ihm bei nächster Gelegenheit an den
Weitere Kostenlose Bücher