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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hingen.
    »Claire! Oh, b-bitte sei still. Liebes, bist du verletzt?« Gestärktes Leinen raschelte, als sich Mary neben mich hockte. Hinter ihr fiel die Tür wieder ins Schloß, und der Schlüssel wurde umgedreht.
    »Ja... ich meine, nein. Es geht mir gut«, antwortete ich benommen. »Aber Hugh...« Ich preßte die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können. »Was in drei Teufels Namen machst du hier, Mary?«
    »Ich h-habe die Haushälterin bestochen, damit sie mich hereinläßt«, flüsterte sie. »Kannst du nicht leiser sprechen?«

    »Das macht nicht viel«, erwiderte ich in normalem Tonfall. »Die Tür ist so dick, daß sich höchstens eine Horde Fußballfans bemerkbar machen könnte.«
    »Eine was?«
    »Nicht so wichtig.« Mein Verstand wurde allmählich klarer, aber meine Augen waren verklebt und geschwollen und mein Kopf dröhnte. Mühsam richtete ich mich auf, stolperte zur Waschschüssel und benetzte mein Gesicht mit kaltem Wasser.
    »Du hast die Haushälterin bestochen?« fragte ich, während ich mir das Gesicht abtrocknete. »Aber eingeschlossen sind wir trotzdem, nicht wahr? Ich habe gehört, wie der Schlüssel umgedreht wurde.« Im Halbdunkel des Zimmers sah Mary kreidebleich aus. Die Kerze war ausgegangen, während ich auf dem Fußboden schlief, und der Raum wurde nur noch vom tiefroten Glühen der Scheite im Kamin erleuchtet. Sie biß sich auf die Lippen.
    »M-mehr habe ich nicht erreicht. Mrs. Gibson hat so große Angst vor dem Herzog, daß sie mir den Schlüssel nicht geben wollte. Sie hat eingewilligt, mich mit dir einzuschließen, und am Morgen läßt sie mich wieder heraus. Ich dachte, du freust dich über Gesellschaft«, fügte sie schüchtern hinzu.
    »Oh. Ja... danke. Das ist lieb von dir.« Ich nahm eine Kerze aus der Schublade und ging zum Kamin, um sie anzuzünden. Da das Wachs der heruntergebrannten Kerze den Kerzenständer verklebte, ließ ich etwas flüssiges Wachs auf den Tisch tropfen und stellte die neue Kerze hinein. Ob die schönen Möbel des Herzogs Schaden litten, war mir gleich.
    »Claire«, sagte Mary, »hast du Schwierigkeiten?«
    Ich biß mir auf die Lippen, um nicht überstürzt zu antworten. Schließlich war Mary erst siebzehn, und von Politik hatte sie vermutlich noch weniger Ahnung als einstmals vom männlichen Geschlecht.
    »Ja«, erwiderte ich, »ziemlich große, fürchte ich.« Langsam setzte meine Gehirntätigkeit wieder ein. Selbst wenn Mary mir bei der Flucht keine große Hilfe sein konnte, war sie vielleicht in der Lage, mir mehr über ihren Paten und die Gepflogenheiten in seinem Haushalt zu erzählen.
    »Hast du vorhin den Tumult am Waldrand gehört?« fragte ich. Sie schüttelte den Kopf. Allmählich begann sie zu zittern, in dem großen Raum drang die Wärme des Feuers nicht bis zum Bett vor.

    »Nein, aber eins der Mädchen hat erzählt, die Wildhüter hätten im Park einen Wilddieb gefangen. Es ist schrecklich kalt. Können wir nicht ins B-Bett gehen?«
    Mary kniete bereits auf der Tagesdecke und suchte unter dem Keilkissen nach dem Laken. Rund und kindlich zeichnete sich ihr Po unter dem weißen Nachthemd ab.
    »Das war kein Wilddieb«, erwiderte ich, »oder vielmehr, es war nicht nur ein Wilddieb, sondern auch ein Freund. Er war auf dem Weg zu Jamie, um ihm zu sagen, wo ich bin. Weißt du, was mit ihm geschehen ist, nachdem ihn die Wildhüter gefangengenommen haben?«
    Mary sah mich an. Ihr Gesicht war nur ein heller Fleck zwischen den düsteren Bettvorhängen. Doch selbst bei diesem Licht konnte ich sehen, daß sie entsetzt die Augen aufgerissen hatte.
    »O Claire! Es tut mir so leid!«
    »ja, mir auch«, entgegnete ich ungeduldig. »Weißt du vielleicht, wo der Wilderer jetzt ist?« Wenn man Hugh an einem leicht zugänglichen Ort eingesperrt hatte, konnte Mary ihn am Morgen vielleicht freilassen.
    Ihre Lippen zitterten so sehr, daß sie nur noch stammeln konnte, und das hätte mich eigentlich warnen sollen. Aber die Worte, die sie endlich hervorstieß, trafen mich wie ein Schlag.
    »S-sie h-haben ihn aufg-g-gehängt. Am T-Tor zum P-Park.«
     
    Es dauerte einige Zeit, bis ich wieder fähig war, meine Umgebung wahrzunehmen. Eine Welle von Trauer, Angst und Hoffnungslosigkeit hatte mich überwältigt. Verschwommen nahm ich wahr, daß Marys kleine Hand zaghaft meine Schulter tätschelte, daß sie mir ein Taschentuch und einen Schluck Wasser anbot, aber ich rollte mich zitternd zusammen, sprach nicht und wartete darauf, daß sich die

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