Die Geliehene Zeit
Kopf werfen wollte. Als ich bei »abgefeimter Päderast« angelangt war, hörte ich von draußen gedämpfte Schreie.
Ich zog die schweren Samtvorhänge vor den Fenstern zurück und stellte fest, daß der Herzog nicht zuviel versprochen hatte. Die Fensterrahmen waren mit massiven Holzbalken vernagelt, die ein so dichtes Gitter bildeten, daß ich zwar noch etwas sehen, aber kaum meinen Arm hindurchstecken konnte.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und die Schatten unter den Parkbäumen waren schwarz wie Tinte. Aus dem Park kamen auch die Rufe, und von den Ställen her hörte ich die Antwort. Plötzlich erschienen drei Männer mit Fackeln.
Die dunklen Gestalten liefen so eilig auf den Wald zu, daß die Flammen der Fackeln hellrot aufleuchteten. Als die Männer den Rand des Parks erreichten, sah ich weitere Gestalten, die auf dem winterlichen Rasen vor dem Haus übereinanderpurzelten.
Ich stand auf Zehenspitzen, umklammerte das Gitter und drückte die Stirn gegen das Holz, um besser sehen zu können. Das Tageslicht war nun ganz geschwunden, und im Schein der Fackeln sah ich kaum mehr als die Umrisse der Kämpfenden.
Jamie konnte das nicht sein, sagte ich mir und versuchte, den Kloß in meiner Kehle hinunterzuschlucken. Nicht so bald, nicht jetzt. Und nicht allein - gewiß würde er nicht allein kommen. Denn nun konnte ich erkennen, daß sich alle auf einen Mann stürzten, der auf den Knien lag, während die Wildhüter und Stallknechte des Herzogs mit Fäusten und Stöcken auf ihn eindroschen.
Dann fiel die geduckte Gestalt der Länge nach hin, und die Rufe erstarben, obwohl noch einige Schläge ausgeteilt wurden, bis die Horde endlich von dem Mann abließ. Ein paar Worte wurden gewechselt, die ich hoch oben auf meinem Aussichtspunkt nicht verstand. Dann beugten sich zwei Männer vor und packten ihr Opfer unter den Armen. Als sie auf dem Weg zum Haus unter meinem Fenster im zweiten Stock vorbeikamen, fiel der Fackelschein auf einen zerlumpten, schmutzigen Kittel. Das war nicht Jamie.
Einer der Stallknechte hastete vorüber und schwenkte triumphierend ein dickes Lederränzel an einem Riemen. Das Klimpern der Metallplättchen, die den Riemen zierten, konnte ich nicht hören, aber sie glitzerten im Fackelschein, und meine Arme wurden kraftlos vor Entsetzen.
Es waren Münzen und Knöpfe. Und Gaberlunzies, jene kleinen Bleimünzen, die einen Bettler berechtigten, in einer bestimmten Gemeinde zu betteln. Hugh Munro besaß vier davon, zum Ausgleich für die Qualen, die er unter den Türken erlitten hatte. Es war nicht Jamie, sondern Hugh.
Ich zitterte so sehr, daß mich meine Beine kaum noch tragen wollten, aber ich lief zur Tür und schlug mit aller Kraft dagegen.
»Laßt mich raus!« schrie ich. »Ich muß den Herzog sprechen! Laßt mich raus, sage ich!«
Als auf mein fortgesetztes Schreien und Klopfen keine Antwort folgte, raste ich zurück zum Fenster. Unten bot sich inzwischen ein vollkommen friedlicher Anblick: Ein Junge hielt eine Fackel für einen Gärtner, der am Rande des Rasens kniete und sorgfältig die durch den Kampf herausgerissene Grasnarbe wieder einfügte.
»He da!« brüllte ich. Natürlich ließen sich die vergitterten Fenster nicht öffnen. Rasch holte ich einen der schweren silbernen Kerzenständer und schlug damit eine Scheibe ein.
»Hilfe! He, ihr da unten! Sagt dem Herzog, daß ich ihn sprechen will! Jetzt! Hilfe!« Eine der Gestalten schien den Kopf in meine Richtung zu wenden, aber keiner von beiden machte Anstalten, zum Haus zu gehen. Sie fuhren mit ihrer Arbeit fort, als hätte nur der Ruf eines Nachtvogels die Stille zerrissen.
Wieder rannte ich zur Tür, hämmerte und schrie, und dann zurück ans Fenster. Ich rief, ich flehte, und ich drohte, bis ich heiser wurde, und ich schlug gegen die erbarmungslose Tür, bis meine Hände rot und wund waren, aber niemand kam. Dem Schweigen nach zu urteilen, hätte ich in dem riesigen Haus allein sein können. Auf dem Korridor war es ebenso still wie draußen im nächtlichen Park, still wie im Grab. Meine Angst brach nun ungezügelt hervor, und ich sank hemmungslos schluchzend auf die Knie.
Steifgefroren und mit pochenden Kopfschmerzen erwachte ich davon, daß ich über den Boden geschoben wurde. Hellwach wurde ich aber erst, als mein Schenkel von der Kante der sich öffnenden Tür eingeklemmt wurde.
»Au!« Mit steifen Gliedern drehte ich mich um und richtete mich auf allen vieren auf, so daß mir die Haare wild ins Gesicht
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