Die Geliehene Zeit
ich noch das Kleid, mit dem ich aus Schottland geflohen war; ein Geschenk von Lady Annabelle MacRannoch. Das blattgrüne Samtgewand ließ mich recht blaß aussehen, aber zumindest war es elegant.
»Ich denke schon, falls es nicht voller Salzwasserflecken ist.« Ich kniete mich vor die kleine Reisekiste und faltete das grüne Samtkleid auseinander. Jamie hockte sich neben mich, klappte den Deckel meines Medizinkastens auf und betrachtete die Flaschen und Schachteln und die in Mull eingeschlagenen Kräuter.
»Gibt es hier irgendwas gegen unerträgliches Kopfweh?«
Ich spähte über seine Schulter, griff in den Kasten und tippte auf eine Flasche.
»Vielleicht hilft Andorn, aber ideal ist es nicht. Weidenrindentee mit Fenchelsamen wirkt zuverlässig, braucht jedoch gewisse Zeit für die Zubereitung. Aber warte - am besten mische ich dir etwas gegen Leberzirrhose! Eine wundervolle Medizin gegen Kater!«
Argwöhnisch blinzelte er mich an.
»Klingt ekelhaft.«
»Ist es auch«, erwiderte ich fröhlich. »Aber wenn du dich übergeben hast, wirst du dich viel besser fühlen.«
»Mmmpf.« Er stand auf und schob mir mit einem Zeh den Nachttopf zu.
»Sich morgens zu übergeben ist deine Aufgabe, Sassenach«, erklärte er. »Erledige sie und zieh dich an. Ich werde die Kopfschmerzen ertragen.«
Jared Munro Fraser war ein kleiner, schlanker Mann mit dunklen Augen. Er sah seinem entfernten Cousin Murtagh vom Clan der Fraser, der uns bis nach Le Havre begleitet hatte, ziemlich ähnlich. Bei unserer ersten Begegnung stand Jared würdevoll in den weit geöffneten Türen seines Lagerhauses, so daß die Hafenarbeiter mit ihren Fässern einen Bogen um ihn machen mußten.
Jared hatte wie Murtagh strähnige, dunkle Haare, durchdringende Augen und eine sehnige Gestalt. Aber da hörte die Ähnlichkeit auch schon auf. Jareds Gesicht war eher rechteckig als scharfgeschnitten. Seine fröhliche Stupsnase machte die würdevolle Aura zunichte, die er von Ferne mit seiner exquisiten Kleidung und aufrechten Haltung ausgestrahlt hatte.
Da er ein erfolgreicher Kaufmann war und kein Viehdieb, verstand
er sich auch darauf zu lächeln - im Unterschied zu Murtagh, dessen normaler Gesichtsausdruck fortwährende Verdrießlichkeit ausdrückte. Nachdem man uns auf die Rampe geschubst und geschoben hatte und wir schließlich vor ihm standen, begrüßte er uns mit breitem Grinsen.
»Meine Liebe!« rief er, nahm mich am Arm und zog mich resolut zur Seite, um den Weg für zwei kräftige Schauerleute freizumachen, die soeben ein Faß durch die riesige Tür rollten. »Wie ich mich freue, dich - ich darf doch du sagen? - endlich kennenzulernen!« Lärmend polterte das Faß über die Planken der Rampe und ich hörte, wie in seinem Innern die Flüssigkeit hin und her schwappte.
»Mit Rum kann man so umgehen«, erklärte Jared, und sein Blick folgte dem riesigen Faß auf seinem Hindernislauf durch das Lagerhaus. »Aber nicht mit Port. Um den kümmere ich mich immer selbst, ebenso um den Flaschenwein. Eigentlich wollte ich mich gerade auf den Weg machen, um eine neue Lieferung Portwein entgegenzunehmen. Hättet ihr Lust, mich zu begleiten?«
Ich warf einen Blick auf Jamie, und als er nickte, brachen wir umgehend auf. In Jareds Gefolge wichen wir Fässern jeglicher Größe aus, Wagen und Karren, Männern und Knaben, die mit Tuchballen, Getreidesäcken, Kupferdrahtrollen, Mehlsäcken und was immer sich per Schiff transportieren ließ, beladen waren.
Le Havre war eine wichtige Hafenstadt, und die Hafenanlagen bildeten das Herz der Stadt. Am Hafen zog sich ein annähernd vierhundert Meter langer Kai entlang, aus dem kleinere Piers herausragten. Dort lagen Dreimastschiffe und Brigantinen, Ruderboote und kleine Galeeren vor Anker. Also all die Schiffe, die die Versorgung Frankreichs gewährleisteten.
Unterwegs wies mich Jared stolz auf Sehenswertes hin und rasselte die Geschichte der einzelnen Schiffe und ihrer Besitzer herunter. Die Arianna , an der wir vorüberkamen, gehörte Jared selbst. Schiffe, so erfuhr ich, gehörten meist einer Gruppe von Kaufleuten oder einem Kapitän, der das Schiff samt Mannschaft für die Dauer einer Reise vermietete. Da die meisten Schiffe Handelsgesellschaften gehörten und sich nur wenige in Privathand befanden, bekam ich eine Vorstellung von Jareds Vermögen.
Die Arianna lag inmitten einer Reihe von Schiffen unweit eines großen Lagerhauses, über dessen Tür der Name FRASER stand,
am Kai. Beim Anblick der Lettern wurde
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