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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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auch, daß es ihm vollkommen egal war. Aber ich ließ nicht locker.
    »So um die fünfundneunzig Kilogramm, nehme ich an. Ungefähr soviel wie ein gutgebauter Eber. Leider hatte ich keine Treiber zur Hand, um dich mit dem Kopf nach unten auf einen Speer aufspieϐen und nach Hause in die Räucherkammer tragen zu lassen.«
    Er öffnete ein Auge und blickte erst nachdenklich auf mich, dann
auf den Kamin am anderen Ende des Raumes. Ein Mundwinkel hob sich widerwillig zu einem Lächeln.
    »Wie hast du mich ins Bett gebracht?«
    »Überhaupt nicht. Da ich dich nicht von der Stelle bewegen konnte, habe ich bloß eine Decke über dich gebreitet und dich an der Feuerstelle liegenlassen. Irgendwann in der Nacht bist du aus eigener Kraft ins Bett gekrochen.«
    Offenbar überrascht schlug er auch das andere Auge auf.
    «Wirklich?«
    Ich nickte und versuchte, ihm die abstehenden Haare über dem linken Ohr glattzustreichen.
    »O ja, du bist ziemlich zielstrebig vorgegangen.«
    »Zielstrebig?« Er runzelte die Stirn, überlegte, streckte die Arme in die Luft und dehnte sich. Verblüffung machte sich auf seinem Gesicht breit.
    »Nein, das kann nicht sein.«
    »Doch. Zweimal.«
    Er blinzelte an seinem Bauch hinunter, als suchte er dort die Bestätigung für diese unglaubliche Behauptung, und richtete dann den Blick wieder auf mich.
    »Wirklich? Das ist ungerecht. Ich kann mich an nichts erinnern.« Schüchtern fragte er: »Hoffentlich habe ich mich nicht dumm benommen.«
    Ich ließ mich neben ihn ins Bett fallen und kuschelte mich in seine Achselhöhle.
    »Nein, dumm wäre übertrieben. Allerdings warst du nicht sonderlich unterhaltsam.«
    »Auch kleine Gaben werden angenommen«, entgegnete er leise schmunzelnd, und unter seinem Kichern vibrierte seine Brust.
    »›Ich liebe dich< war das einzige, was du hast sagen können. Das dafür viele Male hintereinander.«
    Er kicherte erneut. »Ach ja? Hätte wohl auch schlimmer sein können.«
    Er holte gerade tief Luft, als er plötzlich abrupt innehielt. Argwöhnisch schnupperte er an dem weichen Zimtbüschel unter seinem erhobenen Arm.
    »Herrgott!« rief er und versuchte mich wegzustoßen. »Es kann dir doch keinen Spaß machen, deinen Kopf in meine Achselhöhle zu legen. Ich stinke wie ein sieben Tage toter Eber.«

    »Den man anschließend in Weinbrand eingelegt hat«, stimmte ich ihm zu und kuschelte mich noch enger an ihn. »Wie, um Himmels willen, bist du so, äh, stinkbesoffen geworden?«
    »Jareds Gastfreundschaft.« Er legte den Arm um meine Schulter und machte es sich mit einem tiefen Seufzer in den Kissen bequem.
    »Er hat mir sein Kontor am Hafen mit dem Lagerraum gezeigt, in dem die edlen Jahrgänge, der Weinbrand aus Portugal und der Rum aus Jamaika aufbewahrt werden.« Bei der Erinnerung verzog sich sein Gesicht zu einer Grimasse. »Es war nicht so sehr der Wein. Von dem haben wir immer nur einen Schluck genommen und wieder ausgespuckt. Aber den Weinbrand wollten wir nicht auf diese Weise vergeuden. Außerdem hat Jared mir erklärt, man müsse ihn ganz langsam durch die Kehle rinnen lassen, um ihn wirklich zu genießen.«
    »Und wie oft hast du ihn wirklich genossen?« fragte ich neugierig.
    »Nach der Hälfte der zweiten Flasche bin ich mit dem Zählen durcheinandergekommen.« Die Kirchenglocke begann mit dem Geläut zur Frühmesse. Jamie setzte sich kerzengerade auf und blickte wie gebannt auf die sonnenbeschienene Fensterscheibe.
    »Herrgott, Sassenach, wie spät ist es?«
    »Ungefähr sechs, nehme ich an«, erwiderte ich verwirrt. »Weshalb?«
    Er schien erleichtert, blieb jedoch aufrecht sitzen.
    »Das ist gut. Ich habe befürchtet, es sei bereits das Angelusläuten. Irgendwie ist mir der Zeitbegriff abhanden gekommen.«
    »Das würde ich auch sagen. Macht es denn was?«
    In einem plötzlichen Energieausbruch warf er die Decken beiseite und stand auf. Er schwankte einen Augenblick, behielt jedoch das Gleichgewicht. Dann griff er sich mit beiden Händen an den Kopf, um sicherzustellen, daß er noch dran war.
    »Aye«, meinte er leicht keuchend. »Wir haben heute morgen einen Termin am Hafen, in Jareds Lagerhaus. Du und ich.«
    »Wirklich?« Ich stieg aus dem Bett und tastete nach dem Nachttopf.
    Jamies Kopf tauchte aus dem Halsausschnitt seines Hemdes auf.
    »Besitzt du etwas Passendes zum Anziehen, Sassenach?«
    Auf unseren Reisen hatte ich ein praktisches graues Sergekleid getragen, zu dem mir der Almosenpfleger der Abtei Ste. Anne
verholfen hatte. Außerdem besaß

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