Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Erinnerungen an die Tage in dem kalten dunklen Diebesloch in Cranesmuir hafteten noch so stark in meinem Gedächtnis, daß ich den Wind plötzlich als eisig empfand.
    Mich fröstelte, aber nicht nur vor Kälte. Bei dem Gedanken an Geillis Duncan überlief es mich kalt; nicht so sehr aufgrund dessen, was sie getan hatte, als aufgrund dessen, was sie war. Auch sie
unterstützte die Jakobiten, und zwar auf eine Art, die nicht frei war von einer gewissen Besessenheit. Schwerer wog jedoch für mich, daß wir etwas gemeinsam hatten: Auch sie war durch die Steine gegangen.
    Ich hatte keine Ahnung, ob sie gleich mir zufällig in die Vergangenheit geraten war oder ob sie ihre Reise geplant hatte. Ebensowenig wußte ich, woher sie stammte. Aber noch immer sah ich die große blonde Frau vor mir, wie sie sich den Richtern, die sie zum Tod verurteilen wollten, in lautstarkem Trotz entgegenstellte. Sie hatte die Arme erhoben, und auf einem ihrer Arme hatte ich eine verräterische runde Impfnarbe erkannt. Unwillkürlich wanderte meine Hand zu der kleinen Hauterhebung auf meinem Oberarm, die beruhigenderweise unter den Falten meines Umhangs verborgen war.
    Der anschwellende Lärm auf dem nächstgelegenen Kai riß mich aus meinen traurigen Erinnerungen. Neben der Gangway eines Schiffes hatte sich eine dicke Traube von Männern gebildet, und es herrschte ein fürchterliches Geschrei und Gedränge. Ich schirmte meine Augen ab, doch soweit ich erkennen konnte, war keine Rauferei in Gang. Offenbar versuchte man angestrengt, durch die wogende Menge einen Weg zu den Eingangstüren eines großen Lagerhauses am oberen Ende des Kais freizumachen. Die Leute stemmten sich jedoch beharrlich gegen alle Bemühungen und schlossen sich hinter jedem Vorstoß wie zusammenströmende Wassermassen.
    Plötzlich tauchte Jamie hinter mir auf, dicht gefolgt von Jared, der die Menge aus zusammengekniffenen Augen beobachtete. Wegen des Geschreis hatte ich sie nicht kommen hören.
    »Was ist dort los?« Ich stand auf und lehnte mich an Jamie, um besseren Halt zu haben, da das Schiff immer stärker schwankte. Sein Duft umfing mich. Er hatte in der Herberge gebadet und roch nun sauber, warm und zart nach Sonne und Staub. Offensichtlich gehörte zur Schwangerschaft auch ein stärker ausgeprägter Geruchssinn. Unter den verschiedensten Düften und üblen Gerüchen des Hafens war Jamies Geruch für mich unverkennbar.
    »Ich weiß nicht. Sieht aus, als gäbe es auf dem anderen Schiff Schwierigkeiten.« Er streckte seine Hand aus und nahm meinen Ellbogen, um mir Halt zu geben. Jared wandte sich um und rief einem der Matrosen in gutturalem Französisch einen Befehl zu. Der
Mann sprang umgehend über das Schanzkleid und rutschte an einem der Taue bis auf den Kai. Dann mischte er sich unter die Menge, wobei er einem Matrosen einen Stoß in die Rippen versetzte, der, ergänzt von ausdrucksvollen Gesten, auf der Stelle erwidert wurde.
    Als der Mann den überfüllten Landungssteg wieder hochkletterte, zog Jared die Stirn kraus. Der Mann sprach einen so breiten Dialekt und so schnell, daß ich seinem Bericht nicht folgen konnte. Nach ein paar knappen Worten wandte sich Jared abrupt um und stellte sich neben mich. Seine Hände umfaßten das Schanzkleid.
    »Er sagt, auf der Patagonia sei eine Krankheit ausgebrochen.«
    »Welche Krankheit?« Da ich meinen Medizinkasten nicht mitgebracht hatte, konnte ich nur wenig tun, aber ich war neugierig. Jared wirkte besorgt und unglücklich.
    »Man befürchtet, es sind die Pocken, aber man ist sich nicht sicher. Der Hafenmeister ist bereits verständigt worden.«
    »Soll ich es mir mal ansehen?« erbot ich mich. »Vielleicht kann ich ja erkennen, ob es sich um eine ansteckende Krankheit handelt.«
    Während Jared die schmalen Augenbrauen so weit hochzog, daß sie unter den schwarzen Haarsträhnen verschwanden, ließ sich aus Jamies Gesicht leichtes Unbehagen lesen.
    »Meine Frau ist eine Heilerin«, klärte er Jared auf, bevor er sich kopfschüttelnd zu mir wandte.
    »Nein, Sassenach. Es ist zu gefährlich.«
    Die Gangway der Patagonia lag genau in meinem Blickfeld, und ich sah, wie die Männer plötzlich so angstvoll zurückwichen, daß sie sich gegenseitig auf die Füße traten. Zwei Matrosen kamen von Deck. Zwischen sich trugen sie eine weiße Leinwand, die unter dem Gewicht eines Mannes durchhing. Ein nackter, sonnengebräunter Arm baumelte über den Rand dieser behelfsmäßigen Hängematte.
    Die Matrosen hatten sich Tücher vor Mund

Weitere Kostenlose Bücher