Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
auch noch hineingezogen werden.«
    Ich tat einen Schritt auf ihn zu, doch sein Kopfschütteln ließ mich zögern. Er wandte sich zum Fenster; sein Gesicht war ruhig, leer wie die Scheibe, durch die er nach draußen blickte.
    »Leg dich schlafen, Mädel. Laß mich ein wenig allein. Kein Grund zur Sorge.«
    Die Hände auf den Rahmen gestützt, stand er so am Fenster, daß er den Mondschein abfing. Seine Schultern spannten sich, und ich wußte, daß er sich mit aller Kraft gegen das Holz stemmte.
    »Es war nur ein Traum. Jonathan Randall ist tot.«

    Irgendwann war ich eingeschlafen. Jamie stand noch am Fenster und starrte auf den runden Mond am Himmel. Als ich im Morgengrauen erwachte, schlief auch er. Er hatte sich im Sessel am Fenster zusammengekauert, in sein Plaid gehüllt und meinen Umhang zum Schutz gegen die Kälte über sich gebreitet.
    Als ich mich bewegte, wurde er wach und zeigte wieder sein altes, morgens immer so unverschämt fröhliches Ich. Doch ich konnte die Vorfälle der Nacht nicht so schnell vergessen und nahm mir nach dem Frühstück meinen Medizinkasten vor.
    Zu meinem Leidwesen fehlten mir einige der Kräuter, die ich für den Schlaftrunk brauchte. Doch dann fiel mir der Mann ein, von dem Marguerite mir erzählt hatte. Raymond, der Kräuterhändler aus der Rue de Varennes. Ein Hexenmeister, hatte sie gesagt, mit einem Laden, den man sich unbedingt einmal ansehen sollte. Nun gut. Jamie würde sich den ganzen Vormittag im Lagerhaus aufhalten. Und da mir Kutsche und Lakai zur Verfügung standen, würde ich hinfahren.
    An zwei Seiten des Ladens stand jeweils ein langer, blankgescheuerter Holztresen. Die Regale dahinter reichten bis zur Decke. Einige waren durch Glastüren geschützt, wahrscheinlich weil dahinter die wertvolleren und teureren Substanzen verborgen waren. Pausbäckige vergoldete Putten tummelten sich über den Schränken, bliesen ins Horn, schwenkten Bänder und wirkten samt und sonders, als hätten sie an den alkoholischen Tinkturen des Ladens genippt.
    »Könnte ich mit Monsieur Raymond sprechen?« erkundigte ich mich höflich bei der jungen Frau, die hinter dem Tresen stand.
    »Maitre Raymond«, verbesserte sie mich. Unelegant wischte sie sich mit dem Ärmel über die rote Nase; dann wies sie zu dem hinteren Teil des Ladens, wo dunkle Rauchwolken durch die obere Hälfte einer zweiteiligen Tür quollen.
    Die Umgebung schien für einen Hexenmeister wie geschaffen. Von einer schwarzen, geschieferten Feuerstelle stieg Rauch zu den verrußten Deckenbalken auf. Auf einem Steintisch über dem Feuer standen Glasphiolen, kupferne Schnabelkannen, aus denen undefinierbare Lösungen in Becher tropften, und ein, wie es schien, funktionsfähiger Destillierkolben. Ich schnupperte. Der Alkoholdunst, der von der Feuerstelle her zu mir drang, überlagerte die zahlreichen anderen Gerüche des Ladens. Die säuberlich gespülten und
aufgereihten Flaschen auf einer Anrichte verstärkten meinen Verdacht. Wie immer sein Geschärft mit Zaubermitteln und Tränken auch beschaffen sein mochte - Maitre Raymond trieb schwunghaften Handel mit hochprozentigem Kirschlikör.
    Der Ladenbesitzer beugte sich gerade über die Feuerstelle und schob einige Kohlestückchen zurück auf den Rost. Doch als er mich hereinkommen hörte, richtete er sich auf und wandte sich mit einem freundlichen Lächeln zu mir um.
    »Guten Tag«, sagte ich höflich zu dem kleinen Mann. Der Eindruck, eine Hexenküche betreten zu haben, war so überwältigend, daß mich auch ein Quaken als Antwort nicht verwundert hätte.
    Denn Maitre Raymond ähnelte nichts so sehr wie einem großen, liebenswerten Frosch. Er maß wenig mehr als einszwanzig, hatte einen mächtigen Brustkorb und O-Beine, die dicke, feuchtklebrige Haut eines Sumpfbewohners und leicht hervorquellende, freundliche, schwarze Augen. Abgesehen von der unbedeutenden Tatsache, daß seine Haut nicht grün war, fehlten ihm nur noch die Warzen.
    »Madonna!« sagte er und strahlte mich an. »Womit kann ich Ihnen zu Diensten sein?« Ihm waren alle Zähne ausgefallen, was den froschartigen Eindruck noch verstärkte. Fasziniert starrte ich ihn an.
    »Bitte sehr, Madonna?« Fragend blickte er zu mir auf.
    Erst jetzt wurde mir bewußt, wie unhöflich ich ihn gemustert hatte. Ich errötete und sagte wie aus der Pistole geschossen: »Ich habe mich gerade gefragt, ob Sie schon mal von einem hübschen, jungen Mädchen geküßt worden sind.«
    Er brach in schallendes Gelächter aus, und meine Röte

Weitere Kostenlose Bücher