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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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weissagten und Lieder sangen wie die Zigeuner.
    »Nichts dergleichen«, erwiderte ich, und eine leichte Röte stieg mir ins Gesicht.
    »Also zumindest keine versierte Lügnerin«, stellte er amüsiert fest. »Beinahe schade. Aber wie kann ich Ihnen zu Diensten sein, Madonna?«
    Ich erklärte ihm meine Wünsche, die er mit einem weisen Nicken zur Kenntnis nahm. In seinem Refugium trug er weder eine Perücke, noch puderte er sich das Haar. Statt dessen strich er es sich streng aus der hohen breiten Stirn, so daß es ihm glatt auf die Schultern fiel. Dort endete es in einer so exakten Linie, als wäre es mit einem resoluten Scherenschnitt gekürzt worden.

    Schon bald entwickelte sich zwischen uns ein lebhaftes Gespräch, denn er kannte sich gut aus in der Anwendung von Pflanzen und Kräutern. Immer wieder nahm er ein Gefäß aus dem Regal, schüttete ein wenig von seinem Inhalt in seine Hand und zerrieb die Blätter, damit ich daran riechen oder davon kosten konnte.
    Plötzlich wurde unsere Unterhaltung von lauten Stimmen unterbrochen, die aus dem Laden zu uns drangen. Ein höchst schmuck ausstaffierter Lakai lehnte sich über den Tresen und sprach mit dem Ladenmädchen. Oder zumindest hatte er das vor. Doch seine matten Bemühungen prallten gegen einen Schwall tiefsten provenzalischen Dialekts. Ich verstand nur einen Teil, konnte aber dem Sinn im groben folgen. Irgendwie ging es um Kohl und Würste, was durchaus nicht als Kompliment gemeint war.
    Ich beschäftigte mich im Geiste noch immer mit der erstaunlichen Eigenheit der Franzosen, in praktisch jeder Lebenslage aufs Essen sprechen zu kommen, als die Ladentür aufgerissen wurde. Der Lakai bekam Verstärkung, und zwar in Gestalt einer geschminkten und in Rüschen gehüllten Dame.
    »Aha«, murmelte Raymond, während er unter meinem Arm hindurch das Schauspiel beobachtete, das in seinem Laden stattfand. »La Vicomtesse de Rambeau.«
    »Ist sie Ihnen bekannt?« Dem Ladenmädchen war sie das augenscheinlich, denn es ließ von dem Lakaien ab und wich bis zum Regal mit Abführmitteln zurück.
    »Ja, Madonna«, erwiderte Raymond nickend. »Ein Geschöpf, verwöhnt bis über beide Ohren.«
    Gleich darauf sah ich auch, was er meinte, denn die fragliche Dame griff nach dem Streitobjekt, einem Glas mit eingelegten Kräutern, zielte und schleuderte es mit erstaunlicher Kraft und Treffsicherheit gegen die Glastür der Vitrine.
    Es schepperte und klirrte, und dann herrschte Ruhe im Raum. Mit einem langen, knochigen Finger zeigte die Vicomtesse auf das Mädchen.
    »Du«, drohte sie mit einer Stimme, die irgendwie an Metallspäne erinnerte. »Hol mir den schwarzen Trank! Auf der Stelle!«
    Das Mädchen öffnete den Mund, um zu protestieren, doch als es sah, daß die Vicomtesse nach einem weiteren Gefäß griff, drehte es sich um und verließ fluchtartig den Raum.
    Raymond, der dies vorausgesehen hatte, holte mit einem resignierten
Seufzer eine Flasche aus dem Regal und drückte sie dem Mädchen in die Hand, als es durch die Werkstattür geschossen kam.
    »Gib ihr das«, sagte er, »bevor sie weiteres Unheil anrichtet.«
    Als das Mädchen zögernd in den Laden zurückkehrte, um das Gewünschte zu überbringen, wandte Raymond sich mit einem ironischen Ausdruck im Gesicht zu mir um.
    »Gift für eine Nebenbuhlerin«, zwinkerte er. »Oder zumindest glaubt sie das.«
    »Ach ja?« fragte ich. »Und was ist es wirklich? Faulbaumrinde?«
    Bewundernd und überrascht zugleich blickte er mich an.
    »Sie verstehen Ihr Handwerk«, staunte er. »Ein Naturtalent, oder sind Sie irgendwo in die Lehre gegangen? Aber eigentlich spielt das keine Rolle.« Abwinkend ließ er das Thema fallen. »Jedenfalls haben Sie recht; es ist wirklich Faulbaumrinde. Die Nebenbuhlerin wird morgen von Übelkeit geplagt sein und merklich leiden. Dies stillt den Rachedurst der Vicomtesse, und sie ist überzeugt, ein gutes Geschäft getätigt zu haben. Wenn sich die Rivalin dann erholt und keine Anzeichen einer dauerhaften Schädigung zeigt, wird es die Vicomtesse auf das Eingreifen eines Priesters oder den Gegenzauber eines Hexenmeisters zurückführen, den die andere zu diesem Zweck herbeigerufen hat.«
    Ich sann nach. »Und der Schaden in Ihrem Laden?« fragte ich schließlich. Die späte Nachmittagssonne beleuchtete die Glasscherben auf dem Tisch und den einsamen Silbertaler, den die Vicomtesse zur Bezahlung hingeworfen hatte.
    Raymond drehte die Hand hin und her, um anzudeuten, daß jedes Ding zwei Seiten

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