Die Geliehene Zeit
wurde noch tiefer. »Viele Male. Doch wie Sie selbst sehen, hat es nichts genutzt. Quakquak.«
Wir lachten so laut, daß das Ladenmädchen beunruhigt nach uns sah. Maitre Raymond scheuchte sie mit einer Handbewegung fort. Dann humpelte er hustend und sich die Seiten haltend zum Fenster, um die Bleiglasflügel zu öffnen und den Rauch abziehen zu lassen.
»Ah, das tut gut!« sagte er, während er die kühle Frühlingsluft tief einatmete. Er wandte sich wieder zu mir um und strich sich die langen Silbersträhnen zurück, die ihm bis auf die Schultern reichten. »Nun, Madonna, da wir jetzt Freunde sind, erlauben Sie mir bitte, daß ich rasch noch etwas zu Ende bringe.«
Ich gab meine Zustimmung, und er ging, noch immer glucksend,
zu dem Tisch an der Feuerstelle und füllte den Destillierkolben auf. Dadurch hatte ich Zeit, meine Fassung zurückzugewinnen. Ich schlenderte durch die Werkstatt und betrachtete das erstaunliche Sammelsurium, das ich dort vorfand.
Von der Decke hing ein riesiges, wahrscheinlich ausgestopftes Krokodil. Von unten sah man lediglich die gelben Bauchschuppen, hart und glänzend wie gepreßtes Wachs.
»Das ist echt, nicht wahr?« fragte ich, während ich mich an dem rissigen Eichentisch auf einen Stuhl sinken ließ.
Lächelnd blickte Maitre Raymond nach oben.
»Mein Krokodil? Aber gewiß doch, Madonna. Es flößt meinen Kunden Vertrauen ein.« Mit dem Kopf wies er auf ein Regal, das in Augenhöhe an der Wand angebracht war. Dort waren weiße Porzellangefäße aufgereiht, ein jedes mit goldenen Schnörkeln verziert, mit Blumen- oder Tierornamenten bemalt und mit einem elegant beschrifteten Etikett versehen. Die drei in meiner Nähe trugen lateinische Namen, die ich mit einiger Mühe übersetzte: Krokodilsblut, Leber und Galle des gleichen Tiers - vermutlich sogar jenes, das in der Zugluft über uns im Laden schwebte.
Ich nahm eines der Gefäße aus dem Regal, zog den Stöpsel heraus und roch an seinem Inhalt.
»Senf«, sagte ich und zog die Nase kraus. »Und Thymian. Das Ganze in Walnußöl, scheint mir. Aber wie haben Sie es geschafft, daß es so eklig wird?« Ich kippte das Gefäß zur Seite und betrachtete prüfend die schleimige, schwarze Flüssigkeit.
»Aha! Sie tragen Ihre Nase also nicht nur zur Zierde im Gesicht!« Ein breites Grinsen überzog sein Froschgesicht und offenbarte festes, bläuliches Zahnfleisch.
»Das schwarze Zeug ist das verfaulte Fruchtfleisch eines Kürbisses«, gestand er mir, während er sich zu mir herüberbeugte und die Stimme senkte. »Und der Geruch... nun, das ist wirklich Blut.«
»Aber nicht von einem Krokodil«, wandte ich mit einem Blick nach oben ein.
»Wie kann ein junger Mensch nur so mißtrauisch sein!« sagte Raymond betrübt. »Die Damen und Herren vom Hof haben glücklicherweise größeres Vertrauen in die Natur, obwohl sie selbst nicht gerade Vertrauen einflößen. Nein, es ist Schweineblut, Madonna. Schweine sind hierzulande nun mal leichter aufzutreiben als Krokodile.«
»In der Tat«, gab ich ihm recht. »Dieses Exemplar muß Sie ein Vermögen gekostet haben.«
»Glücklicherweise habe ich es zusammen mit dem Warenbestand vom früheren Besitzer des Ladens geerbt.« Ich meinte, in den Tiefen der sanften, schwarzen Augen ein leichtes Flackern zu sehen. Doch in den letzten Tagen war ich überempfindlich geworden, was Feinheiten im Gesichtsausdruck betraf, da ich bei den Gästen der Abendgesellschaften ständig nach kleinsten Hinweisen forschte, die Jamie bei seiner Aufgabe hilfreich sein könnten.
Der stämmige kleine Ladenbesitzer beugte sich noch näher heran und legte vertrauensvoll seine Hand auf meine.
»Sie sind vom Fach, nicht wahr?« fragte er. »Obwohl Sie nicht danach aussehen.«
In einem ersten Impuls hätte ich am liebsten meine Hand fortgezogen, doch seltsamerweise war mir die Berührung angenehm. Als mein Blick auf die Eisblumen fiel, die am Rand der Bleiglasfenster wuchsen, wußte ich auch, warum: Obwohl er keine Handschuhe trug, waren seine Hände warm, was zu dieser Jahreszeit nicht gerade der Regel entsprach.
»Das hängt davon ab, was Sie damit meinen«, entgegnete ich. »Ich bin eine Heilerin.«
»Aha, eine Heilerin!« Er blickte mich neugierig an. »Das habe ich mir gedacht. Und sonst noch etwas? Weissagungen? Liebestränke?«
Ich hatte leichte Gewissensbisse, da ich an meine Wanderschaft mit Murtagh dachte, als wir im schottischen Hochland auf der Suche nach Jamie waren und für ein warmes Essen die Zukunft
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