Die Geliehene Zeit
angehört, dann solltest du ihm aus dem Weg gehen.« Er schmunzelte. »Schließlich möchte ich dich in nächster Zeit nicht noch mal vor dem Scheiterhaufen retten müssen.«
Die Schatten unter den Bäumen erinnerten mich an das kalte Diebesloch in Cranesmuir. Mich fröstelte, und ich rückte näher an Jamie und damit weiter ins Sonnenlicht.
»Das geht mir nicht anders.«
Vor einem Forsythienbusch in voller Blüte umwarben sich die Tauben. Die Damen und Herren des Hofes, die sich auf den von Skulpturen gesäumten Wegen des Schloßparks ergingen, hatten sich der gleichen Beschäftigung verschrieben. Nur daß die Tauben dabei nicht so stark lärmten.
Eine Erscheinung in wasserblauer Seide ließ sich in lautstarker Verzückung darüber aus, wie göttlich das Stück vom Vorabend gewesen sei.
»Superb! Einfach superb, die Stimme der La Couelle!«
»O ja, superb! Wunderschön!«
»Großartig, einfach großartig! Superb, ein anderes Wort wird ihr nicht gerecht!«
»O ja, superb!«
Die Stimmen - und zwar alle vier - waren schrill wie schepperndes Glas. Der Täuberich in meiner Nähe hingegen ließ ein weiches, honigsüßes Gurren ertönen. Dabei verbeugte er sich immer wieder, als wollte er seiner Angebeteten, die bis dahin noch recht unbeeindruckt wirkte, sein Herz zu Füßen legen.
Ich blickte über die Tauben hinweg auf den wasserblauen Höfling, der zurückgeeilt war. Gerade bückte er sich nach dem spitzenbesetzten Taschentuch, das eine seiner Begleiterinnen als Köder kokett hatte fallen lassen.
»Die Damen nennen ihn ›L’Andouille‹«, bemerkte ich. »Weißt du, warum?«
Jamie grunzte und öffnete ein Auge, um der davonschlendernden Gruppe nachzublicken.
»Ach, das ›Würstchen‹! Weil er seinen Schlingel nicht in der Hose lassen kann!«
Ich hätte es vielleicht überstanden, wären da nicht die verdammten Nachtigallen gewesen. Wegen der vielen Höflinge und Zuschauer war es im Speisesaal heiß und stickig. Eines der Stäbchen meines Korsetts hatte sich gelöst und stach mir bei jedem Atemzug in die linke Niere. Und zu allem Überfluß litt ich unter der schlimmsten Plage der Schwangerschaft, dem Drang, alle fünf Minuten Wasser lassen zu müssen. Dennoch hätte ich es wahrscheinlich durchstehen können. Schließlich bedeutete es einen ernstlichen Verstoß gegen die Etikette, vor dem König die Tafel zu verlassen, selbst wenn ein Mittagessen im Vergleich zu den festlichen Abendbanketts noch eine relativ zwanglose Angelegenheit war - hatte man mir zumindest zu verstehen gegeben. Aber »zwanglos« ist ein dehnbarer Begriff.
Sicher, es gab nur drei Sorten eingelegtes Gemüse und nicht acht. Und nur eine klare Suppe, keine sämige. Das Wildbret war nur gegrillt und wurde nicht en brochette serviert; und der Fisch, der zwar aufs leckerste in Wein gedünstet war, wurde filetiert angeboten, nicht im ganzen und auf einem Meer von Krabben in Aspik.
Als ob er seiner Enttäuschung ob einer derart frugalen Speisenfolge Ausdruck verleihen wollte, hatte einer der Köche ein ganz bezauberndes hors d’œuvre zubereitet - ein kunstvoll aus Teigstreifen gefertigtes und mit echten blühenden Apfelzweigen geschmücktes Nest, auf dessen Rand zwei gerupfte und gegrillte, mit Zimtäpfeln gefüllte und dann wieder mit ihrem Federkleid versehene Nachtigallen thronten. In dem Nest saß ihre Brut, die winzigen Flügelchen braun und knusprig, die zarte Haut mit Honig glasiert, die schwarzen Schnäbel aufgerissen, so daß man einen Ausblick auf die Mandelfüllung bekam.
Nachdem das Kunstwerk unter dem bewundernden Gemurmel der Gäste einmal um den Tisch getragen worden war, stellte man die Platte vor den König. Dieser unterbrach sein Gespräch mit Madame de la Tourelle gerade lange genug, um einen der Zöglinge aus dem Nest zu pflücken und ihn in den Mund zu stecken.
Knirschend mahlten die Zähne Seiner Majestät, und wie gebannt starrte ich auf seinen Hals, als er schluckte. Ich meinte zu spüren, wie die zarten Knochen meine Speiseröhre hinabglitten. Dann griff Ludwig geistesabwesend nach dem nächsten Vögelchen.
An diesem Punkt kam ich zu dem Ergebnis, daß es Schlimmeres gäbe, als Seine Majestät durch einen vorzeitigen Aufbruch zu beleidigen, und ergriff die Flucht.
Als ich mich einige Minuten später im Gebüsch wieder aufrichtete, hörte ich hinter mir ein Geräusch. Ich erwartete einen zu Recht wütenden Gärtner, doch als ich mich schuldbewußt umwandte, begegnete ich dem Blick meines wütenden
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