Die Geliehene Zeit
näher hinuntergebeugt hatten. Man hatte eine kleine Lücke für Seine Majestät freigelassen, die mich mit teilnahmsvollem Interesse musterte.
Zwei Männer knieten im Staub neben mir. Zu meiner Rechten Jamie, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht kreidebleich wie die Weißdornblüten über ihm. Und zu meiner Linken...
»Sind Sie wohlauf, Madame?« Die hellbraunen Augen unter den fragend hochgezogenen Brauen zeigten nichts als höfliche Besorgtheit. Es war natürlich nicht Frank, und auch nicht Jonathan Randall. Dieser Mann war gut zehn Jahre jünger als der Hauptmann, vielleicht eher in meinem Alter, mit einem blassen, keineswegs wind-und wettergegerbten Gesicht. Seinen feingeschnittenen Lippen fehlte der grausame Zug, der für den Hauptmann so typisch war.
»Sie...«, krächzte ich und wandte mich von ihm ab, »Sie sind...«
»Alexander Randall, Madame«, antwortete er rasch und deutete eine Geste an, als wolle er seinen nicht vorhandenen Hut ziehen. »Ich glaube allerdings nicht, daß wir schon das Vergnügen hatten«, meinte er mit einem leisen Zweifel.
»Ich... äh... nein, gewiß nicht«, stotterte ich und ließ mich in Jamies Arme sinken. Sie waren fest wie Stahl, doch seine Hand, die die meine umfaßt hielt, zitterte, und ich verbarg sie in den Falten meines Kleides.
»Eine etwas formlose Bekanntmachung, Mrs. äh, nein... Herrin von Broch Tuarach, nicht wahr?« Ich wandte den Kopf nach der hohen, piepsenden Stimme um und blickte in das gerötete, pausbäckige Gesicht des Herzogs von Sandringham, das neugierig zwischen dem Comte de Sevigny und dem Duc d’Orleans hervorlugte. Er zwängte seinen plumpen Körper zwischen den Umstehenden hindurch und reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Während er noch meine schweißfeuchte Hand hielt, verbeugte er sich in Alexander Randalls Richtung, der verwirrt die Stirn runzelte.
»Mr. Randall steht als Sekretär in meinen Diensten, gnädige Frau. Die Priesterweihe ist eine edle Berufung, doch von hehren Absichten allein kann man nicht leben, nicht wahr, Alex?« Der junge Mann errötete ein wenig, nahm die Spitze jedoch widerspruchslos hin und verneigte sich vor mir. Da erst bemerkte ich seinen nüchternen dunklen Anzug und den steifen weißen Kragen, die ihn als Geistlichen auswiesen.
»Seine Hoheit hat ganz recht, gnädige Frau. Und deshalb bin ich ihm überaus dankbar für die Stelle.« Seine leicht verkniffenen Lippen schienen anzudeuten, daß seine Dankbarkeit vielleicht doch nicht so groß war, ungeachtet der schönen Worte. Ich sah den Herzog an, dessen kleine blaue Augen in die Sonne blinzelten. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich.
Das kleine Intermezzo fand ein Ende, als der König mit einem Händeklatschen zwei Lakaien herbeirief. Auf Louis’ Anweisung packten sie mich an den Armen und setzten mich trotz meines Protestes in eine Sänfte.
»Nicht doch, Madame«, tat er huldvoll meine Einwände wie auch meine Dankesbekundungen ab. »Begeben Sie sich nach Hause und ruhen Sie sich aus; wir möchten doch nicht, daß Sie bei dem
morgigen Ball indisponiert sind, non ?« Seine großen braunen Augen zwinkerten mir zu, während er meine Hand an die Lippen führte. Ohne den Blick von mir abzuwenden, verbeugte er sich förmlich vor Jamie, der geistesgegenwärtig genug war, eine freundliche Dankesrede zu halten. Darauf erwiderte der König: »Ihren Dank, mein Herr, würde ich gerne in der Weise entgegennehmen, daß Sie mir einen Tanz mit Ihrer bezaubernden Frau gestatten.«
Jamie kniff die Lippen zusammen, verbeugte sich jedoch und antwortete: »Meine Frau ist, wie auch ich, geehrt von Eurer Freundlichkeit, Eure Majestät.« Er warf mir einen flüchtigen Blick zu. »Wenn sie soweit bei Kräften ist, daß sie an dem Ball teilnehmen kann, wird es ihr eine Freude sein, mit Eurer Majestät zu tanzen.« Ohne eine förmliche Entlassung abzuwarten, wandte er sich ab und nickte den Sänftenträgern zu.
»Nach Hause«, sagte er.
Als ich nach dem holprigen Transport durch Straßen, die nach Blumen und Kloake rochen, endlich zu Hause angelangt war, vertauschte ich mein schweres Kleid und das unbequeme Korsett mit einem seidenen Morgenmantel.
Jamie saß mit geschlossenen Augen am erkalteten Kamin. Er war weiß wie sein Leinenhemd.
»Heilige Jungfrau«, murmelte er und schüttelte den Kopf. »Bei Gott und allen Heiligen, das war knapp. Um Haaresbreite hätte ich den Mann ermordet. Weißt du, Claire, wenn du nicht ohnmächtig geworden wärst... Himmel, ich
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