Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
Stachelschweinen. Doch nachdem ich ihm einen scharfen Blick zugeworfen hatte, war er vernünftig genug, den Mund zu halten.
    Auf unserem Spaziergang durch das Gartenparterre mit seinen Springbrunnen und ornamental gestalteten Beeten gewann ich allmählich mein seelisches Gleichgewicht zurück. Die meisten Bäume hatten noch keine Blätter, doch für Ende März war der Tag ungewohnt warm, und in der Luft hing ein berauschender Duft nach Knospen und frischem Grün.
    Ich blieb vor der Statue eines halbnackten Jünglings mit Trauben im Haar und einer Flöte an den Lippen stehen. Eine große, seidige Ziege fraß von den Trauben, die aus den Marmorfalten seines Gewands herabhingen.
    »Wer ist das?« fragte ich. »Pan?«
    Jamie schüttelte lächelnd den Kopf. Obwohl er jetzt wieder seinen alten Kilt und den abgewetzten, aber bequemen Rock trug, sah er weitaus besser aus als die herausgeputzten Höflinge, die in Grüppchen an uns vorbeikamen.
    »Nein, eine Panfigur gibt es auch, aber diese hier steht für eines der vier Temperamente.«
    »Nun, er schaut recht temperamentvoll aus«, bemerkte ich und schaute zu dem fröhlichen Ziegenfreund auf.
    »Du als Heilerin, Sassenach, solltest die Lehre von den vier Temperamenten eigentlich kennen. Jedes Temperament ist einem Körpersaft zugeordnet. Dies hier ist der Sanguiniker, zu ihm gehört das Blut«, er wies zuerst auf den Flötenspieler und dann auf den Weg, »und dort ist der Melancholiker oder die schwarze Galle.«
Er meinte einen großen Mann in einer Art Toga, der ein aufgeschlagenes Buch in der Hand hielt.
    Dann zeigte Jamie auf die andere Wegseite. »Und das ist der Choleriker, die gelbe Galle...«, ein nackter, muskulöser junger Mann, der wirklich sehr wütend dreinschaute, ohne den Löwen, der ihn in die Wade beißen wollte, zu beachten, »und dort hinten steht der Phlegmatiker, ihm ist der Schleim zugeordnet.«
    »Tatsächlich? Herr im Himmel!« Phlegma war ein bärtiger Kerl mit Hut, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und zu dessen Füßen eine Schildkröte saß.
    »Lernen die Heiler in eurer Zeit nichts über die Körpersäfte?« fragte Jamie interessiert.
    »Nein, wir haben statt dessen Bazillen.«
    »Wirklich? Bazillen!« Er ließ das Wort auf der Zunge zergehen. »Und wie sehen die aus?«
    Ich betrachtete die Figur der »Amerika«, eine junge Frau im heiratsfähigen Alter mit Gewand und Kopfschmuck aus Federn, zu deren Füßen ein Krokodil lungerte.
    »Nun, so hübsche Statuen würden sie jedenfalls nicht abgeben.«
    Das Krokodil zu Amerikas Füßen erinnerte mich an Maître Raymonds Apotheke.
    »Möchtest du wirklich, daß ich Maitre Raymond nicht mehr aufsuche?« fragte ich Jamie. »Oder willst du nur verhindern, daß er mir die Brustwarzen durchsticht?«
    »Vor allem natürlich letzteres«, erklärte er fest, nahm mich beim Ellenbogen und bugsierte mich rasch weiter, damit ich angesichts der blanken Brüste Amerikas nicht auf dumme Gedanken käme. »Aber ich sehe es prinzipiell nicht gern, wenn du zu Maitre Raymond gehst. Um seine Person ranken sich so mancherlei Gerüchte.«
    »Wie praktisch um jeden in Paris«, stellte ich fest, »und ich gehe jede Wette ein, daß Maitre Raymond sie samt und sonders kennt.«
    »Aye, das glaube ich auch. Aber das, was ich wissen muß, kann ich auch in den Salons und Tavernen erfahren. Man sagt, Maitre Raymond sei der Mittelpunkt eines gewissen Kreises. Und damit meine ich nicht die Jakobiten.«
    »Wirklich? Wen denn sonst?«
    »Kabbalisten und Okkultisten. Vielleicht auch Hexenmeister.«
    »Jamie, du hast doch nicht ernstlich Angst vor Hexen und Dämonen?«

    Wir waren in dem Teil des Gartens angelangt, der sich »Tapis Vert« nannte. Zu dieser Jahreszeit zeigte der weitläufige Rasen erst einen blassen grünen Schimmer. Dennoch hatten sich zahlreiche Höflinge darauf ausgebreitet, um den milden Tag zu genießen.
    »Nicht vor Hexen«, antwortete Jamie. Er hatte für uns ein Plätzchen unter einer Forsythienhecke gefunden und ließ sich auf dem Boden nieder. »Wohl aber vor dem Comte de St. Germain.«
    Ich dachte an den Ausdruck in den dunklen Augen des Comte in Le Havre, und trotz des Sonnenscheins und meines warmen Wollschals fuhr mir ein Schauder über den Rücken.
    »Glaubst du, er steht mit Maitre Raymond in Verbindung?«
    Jamie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Aber du hast mir doch selbst von den Gerüchten erzählt, die über den Comte im Umlauf sind, nicht wahr? Und wenn Maitre Raymond diesem Kreis

Weitere Kostenlose Bücher