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Die Geliehene Zeit

Titel: Die Geliehene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wollte ihn wirklich umbringen, mit aller Willenskraft, die ich aufbringen konnte.« Er schauderte.
    »Hier. Leg lieber die Beine hoch«, drängte ich und stellte ihm einen schweren geschnitzten Schemel hin.
    »Nein, es geht schon wieder«, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Dann ist er also... Jack Randalls Bruder?«
    »Es sieht ganz danach aus«, entgegnete ich trocken. »Er kann ja kaum jemand anders sein.«
    »Hm. Hast du gewußt, daß er für Sandringham arbeitet?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich wußte... ich weiß von ihm nicht mehr als seinen Namen und daß er Hilfsgeistlicher ist. F... Frank hat sich nicht sonderlich für ihn interessiert, da er kein direkter Vorfahr ist.« Meine Stimme zitterte verräterisch, als ich Frank erwähnte.

    Jamie stellte seine Flasche ab und kam zu mir. Er bückte sich langsam, hob mich hoch und wiegte mich in seinen Armen. Sein Hemd hatte noch den frischen, intensiven Geruch der Gärten von Versailles. Nachdem er mich auf die Stirn geküßt hatte, wandte er sich zum Bett.
    »Komm, leg den Kopf hin, Claire«, sagte er leise. »Wir haben beide einen langen Tag hinter uns.«
     
    Ich befürchtete, daß Jamie nach der Begegnung mit Alexander Randall wieder schlecht träumen würde. Es geschah nicht oft, aber gelegentlich spürte ich, wie er plötzlich angespannt und gleichsam kampfbereit neben mir lag. Dann taumelte er aus dem Bett und verbrachte die Nacht am Fenster, als böte es eine Fluchtmöglichkeit. In diesem Zustand wollte er weder angesprochen noch berührt werden. Und am nächsten Morgen hatte er Jonathan Randall und die anderen Dämonen der Finsternis wieder in ihre Schachtel gepackt, fest verschnürt mit dem eisernen Band seines Willens, und alles war wieder in Ordnung.
    Doch Jamie schlief rasch ein, und als ich die Kerze löschte, war sein Gesicht friedlich und entspannt.
    Es war die reine Glückseligkeit, reglos dazuliegen, während sich die Wärme in meinen kalten Gliedern ausbreitete. Doch meine frei umherschweifenden Gedanken führten mir immer und immer wieder jene Szene vor dem Palast vor Augen - ein flüchtiger Blick auf einen dunkelhaarigen Kopf, eine hohe Stirn, enganliegende Ohren und ein kantiges Kinn -, dieses erste, blitzartige Gefühl eines vermeintlichen Wiedererkennens hatte mir gleichermaßen einen freudigen und einen bangen Schrecken eingejagt. Frank, hatte ich gedacht. Frank. Und ich sah Franks Gesicht vor mir, bis ich einschlummerte.
    Es war ein Vorlesungssaal der Londoner Universität; eine alte Holzdecke und ein moderner Linoleumfußboden, auf dem unruhige Füße scharrten. Man saß auf alten, glatten Bänken; neues Mobiliar blieb der naturwissenschaftlichen Fakultät vorbehalten. Für Geschichte genügten sechzig Jahre alte, verschrammte Holzpulte. Schließlich war der Forschungsgegenstand fest und unveränderlich - warum sollte es da bei der Einrichtung anders sein?
    »Kunstgegenstände«, ertönte Franks Stimme, »und Gebrauchsgegenstände.« Seine Finger berührten den Rand eines silbernen
Kerzenhalters, und die hereinfallenden Sonnenstrahlen glänzten auf dem Metall, als hätten Franks Finger es elektrisiert.
    Die Gegenstände, allesamt Leihgaben des Britischen Museums, standen auf dem Tisch. Die Studenten in der ersten Reihe konnten die winzigen Sprünge in dem vergilbten Elfenbein der französischen Spielgeldschatulle erkennen. Und die bräunlichen Tabakflecken an den Rändern einer weißen Tonpfeife. Und ein goldenes englisches Parfümfläschchen, ein goldbronzenes Tintenfaß mit geriffeltem Deckel, einen geborstenen Hornlöffel und eine kleine Marmoruhr mit zwei trinkenden Schwänen darauf.
    Hinter diesen Gegenständen lagen Miniaturen auf dem Tisch; was sie darstellten, war nicht zu erkennen, denn die Sonne spiegelte sich darin.
    Die Nachmittagssonne verlieh Franks dunklem Haar einen rötlichen Schimmer, während er hingebungsvoll über die Gegenstände gebeugt dastand. Schließlich hob er mit der einen Hand die Tonpfeife hoch, während er die andere wie zum Schutz darüberwölbte.
    »Aus einigen historischen Epochen«, fuhr er fort, »ist uns die Geschichte selbst überliefert: das schriftliche Zeugnis der Menschen jener Zeit. Von anderen Perioden sind uns nur Gegenstände erhalten geblieben, die uns zeigen, wie die Menschen damals gelebt haben.«
    Er führte die Pfeife an den Mund, schürzte die Lippen um das Mundstück und blähte mit komisch hochgezogenen Augenbrauen die Wangen. Aus der Zuhörerschaft drang ein

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