Die gelöschte Welt
geht hinaus, die Militärpolizisten begleiten ihn.
George Copsen lässt sich auf seinen Stuhl fallen, brütet und ignoriert mich. Er starrt das rote Telefon an und will es mit Blicken zwingen zu läuten. Schließlich sieht er mich an und seufzt.
»Was für ein Mist«, sagt George Copsen. Ich bin nicht sicher, ob er die Situation oder mich persönlich meint. Bis jetzt ist mir noch nicht in den Sinn gekommen, dass mich seine Meinung überhaupt einen Dreck schert. Offenbar ist mir wohl doch wichtig, wie er über mich denkt. Zehn Sekunden lang ist mir elend, denn ungefähr so lange brauche ich, um zitternd aufzustehen und so gut wie möglich zu salutieren. Ich stehe da und entschuldige mich auf die einzige Weise, die mir erlaubt ist. Mir tut der Arm weh, während ich mich bei dem Mann entschuldige, obwohl mir eigentlich nichts einfällt, was mir leidtun müsste. George Copsen sieht mir in die Augen, schätzt mich ein und ist im Gegensatz zu Meister Wu und der Evangelistin von dem, was er sieht, keineswegs überzeugt. Andererseits ist das, was er sucht, vielleicht etwas, das er besser nicht in mir finden sollte. So stehen wir da, schätzen einander ein und versuchen herauszufinden, was wir eigentlich voneinander wollen, bis ein schrilles, altmodisches Blöken den Raum erfüllt. George Copsen winkt energisch ab, denn auf mich sauer zu sein ist etwas, das in die Zeit vor dem Anschlagen des Telefons gehört. In die Zeit, bevor die Krise akut geworden ist. Er nimmt den roten Telefonhörer ab und meldet sich.
»Copsen.«
Am anderen Ende spricht jemand mit fester Stimme einige einfache Worte. General Copsen wird dabei älter oder kälter. Es kommt von innen: wie bei einem hohen Gebäude, das abgerissen wird, oder bei Blumen, die im Zeitraffer welken. Jetzt ist er kein Mann mehr, sondern ein Rädchen im Getriebe. Die erlösende Gnade der Hierarchie – der Regierungsmaschine – ist diese: George Copsen wird die Befehle seines Landes ausführen und dabei Tausende, wenn nicht noch mehr Menschen töten. Es wird aber nicht seine Entscheidung sein. Es wird die Tat einer Nation sein, eines riesigen, komplizierten Tiers, in dessen Körper er nur eine winzige, wenngleich in diesem Augenblick entscheidende Rolle spielt. George Copsen zieht sich zurück, General Copsen tritt in den Vordergrund, nimmt seinen Platz ein und sorgt dafür, dass er bei dem, was er jetzt tun muss, nicht verrückt wird. Für George ist das gut. Vielleicht ist es auch gut für den General, der ungehindert von seinem zivilen Gewissen in Aktion treten kann. Ob es für alle anderen auch gut ist, das ist nicht ganz so klar.
Der General richtet sich auf und geht seine Checkliste durch. Er aktiviert meine Zuteilung. Jetzt diene ich als Offizier in diesem Krieg – denn seit ein paar Augenblicken ist es zweifellos ein echter Krieg –, mit allen Pflichten, Rechten und Privilegien, die dies mit sich bringt. Das finde ich etwas beängstigend. Ich bin der Einsatzleitung zugeteilt, was bedeutet, dass ich jetzt gleich vor die Bildschirme an der gegenüberliegenden Wand treten, beobachten, einschätzen und meine Informationen an General Copsen weitergeben muss, der vom Schreibtisch auf einen Kommandostuhl mitten im Raum wechselt. Außerdem gebe ich alle wichtigen Informationen an Colonel Tench und Brevet-Major Purvis weiter, damit sie unsere Feuerkraft verbessern und verfeinern und unsere Massenvernichtungswaffen präzise und tadellos einsetzen können.
Zusammen werden wir den Feind entfernen.
6 Räder, Entsetzen und Pfannkuchen
• Das Ende der Welt • Endlich Zaher Bey
Das einzige Problem betrifft die Räder. Mir war es vorher gar nicht bewusst, aber Löschungsbomben haben Räder. Der Grund ist, dass jede einzelne Bombe die Größe eines Kleinwagens hat. Wir feuern sie nicht ab, sondern lassen sie aus Frachtmaschinen fallen. Die Räder lagerten zwei Monate irgendwo westlich von hier auf einem Luftwaffenstützpunkt in einer Kiste. Sie sind heiß und kalt geworden, haben Sand abbekommen, sind ausgetrocknet und wieder heiß geworden. Es sind nicht mehr die stolzen Räder, die wir einst kannten. Sie wackeln. Die Techniker bauen sie an die Bomben, und die Bomben hocken schief darauf und rollen nicht glatt und gut geölt, wie es den Mannschaften, die sie zu bedienen haben, erklärt wurde. Die Leute müssen die Bomben mit Winden in die richtige Position bringen. Glücklicherweise wirkt sich die Schwerkraft zu unserem Vorteil aus, wenn es Zeit wird, sie abzuwerfen.
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