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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Die fortschrittlichste Waffe in der Geschichte der Kriegskunst wird wie ein Haufen älterer Einkaufswagen, die Halbstarke in den Fluss schmeißen, über dem Ziel abgeworfen.
    Das ist ein Faktor, der den Angriff verzögert. Die Verzögerung beläuft sich auf ungefähr eine halbe Stunde. Etwas später meldet das erste Flugzeug: »Päckchen abgeliefert.« Unsere vorgeschobenen Späher übermitteln uns den Einschlag mittels einer digitalen Einspeisung. Es ist eher langweilig. Der feindliche Vorposten liegt in einer zerstörten Stadt – vielleicht ist es sogar die, in der ich in die Luft gejagt wurde. Die Bombe fällt vom Himmel herab und aktiviert sich. Es gibt keine Explosion, keine Druckwellen auf der Erde. Vielmehr blüht eine Art zähflüssige Abwesenheit auf. Die feindlichen Stellungen sind ausradiert, die Luft strömt in die Leere und wirbelt Staub auf. Wo der Hauptplatz und das südwestliche Viertel der Stadt waren, klafft jetzt ein vollkommener, glatter Krater. Zwei oder drei schmalen Gebäuden, die sich gegeneinander gelehnt hatten, fehlt jetzt die Stütze. Langsam und ohne großes Aufhebens kippen sie um. Das war alles. Es ist etwas unbefriedigend. Im Blauen Sektor entsteht ein kleines Beben, weil der Schnitt dort recht tief geht und eine kleine tektonische Spannung zur Entladung bringt. Fünfhundert Kilometer entfernt erschaffen wir einen Wasserfall und einen See, als Professor Dereks Genie einen Fluss zerteilt und zugleich eine Brücke und zwei feindliche Spezialeinheiten ausschaltet, die auf Folter spezialisiert waren (genau wie unsere).
    Dann lehnen wir uns zurück und warten auf die nächsten Befehle und die Früchte unserer Machtdemonstration. Wir haben unsere Muskeln spielen lassen, wir haben uns am internationalen Strand ausgezogen und unsere Bein- und Armmuskeln schwellen lassen. Wir sind die Größten. Auf der ganzen Welt sagen die Leute im Augenblick: »Was, zum Teufel, war das denn?« Analytiker müssen Fragen beantworten, spekulieren und Unfug quatschen. In Jarndice wird sich die Neuigkeit, ausgehend von der Junior Library, kreisförmig wie eine Welle zuerst in der Nähe ausbreiten, anschließend über Handys und E-Mail. Jede dieser individuellen Mitteilungen wird ihrerseits Kreise ziehen, und bald werden die Höfe voller besorgter, jubelnder und entsetzter Studenten sein, die durcheinanderlaufen und staunen. Nur wir aber wissen, was geschehen ist.
    Das sagen wir uns, während wir uns etwas überlegen fühlen und auf den Befehl warten, auf demonstrative Weise noch ein Stück der Welt zu verändern, bis auf einmal unser eigener grüner Sektor von der Karte verschwindet. Unsere Leute sind einfach nicht mehr da. Das Satellitenbild zeigt, wie unsere Stellungen wackeln und wie eine Sandburg verschwinden, die von einer Welle überspült wird. Auf Kanal Sieben (unser eigener Kanal Sieben, nicht der Nachrichtensender) spielt sich ein Albtraum ab. Der Späher oberhalb dieser dem Untergang geweihten Kleinstadt, wo Tobemory Trent meinen Arm abband und mich vor dem Verbluten rettete, ist jetzt nur noch ein halber Späher, oder vielleicht sind es noch zwei Drittel. Sein Gesicht ist fast vollständig erhalten. Doch als er nach vorn kippt, wird deutlich, dass er das linke Ohr und ein paar Fingerbreit seiner linken Gesichtshälfte ebenso verloren hat wie den Arm und die Hüfte. Von hier aus kann man nicht erkennen, ob er noch lebt, oder ob sein Körper nur noch reflexartig zuckt. Gleich neben ihm liegt sein Partner, der Scharfschütze, der eindeutig noch lebt, was sich aber schnell ändern wird. Der Feind hat die unteren Gliedmaßen des Mannes verschwinden lassen, und jetzt verblutet er. Es ist nicht so schmerzlos und human, wie ich es mir vorgestellt hatte, sondern eher wie alle anderen Todesarten, die ich beobachten konnte, seit ich hier eingesetzt bin. Niemand erhebt Einwände, als ich den Bildschirm abschalte. Das Schweigen ist fast noch schlimmer als der Lärm.
    George Copsen sackt auf seinem Stuhl in sich zusammen. Als Richard P. Purvis ihm helfen will, wehrt General Copsen ihn unwirsch ab und fällt in seine gebeugte Haltung zurück. Von hinten sehe ich, wie seine Schultern beben und sich verkrampfen, als hätte er Fieber.
    Gleich darauf erfahren wir, dass überall das Gleiche geschieht. Nicht nur im Kriegstheater, sondern überall auf der Welt. In den Städten. In weit entfernten und benachbarten Ländern. Irgendwie hat sich dieser kleine Buschkrieg zu einem Weltkrieg ausgeweitet. Wahrscheinlich wussten

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