Die gelöschte Welt
aus dem Sinn: Piraten, Piraten, Piraten. Sie sind keine primitiven Schläger. Sie sind konzentriert und ruhen in sich selbst. Piratenmönche vielleicht.
Sie tragen ihren Passagieren die Sachen, halten älteren Damen die Tür auf, laufen herum und zischen ab. Und sie erledigen diese unglaublich effiziente Evakuierung sogar mit musikalischer Untermalung. Sie klatschen, singen und trampeln. Humanitäre Hilfe im Viervierteltakt. Die Einwohner von Fudin bewegen sich im Takt (es ist fast unmöglich zu widerstehen), und deshalb stolpert niemand, und niemand behindert die anderen. Das Dach beladen, zwo, drei, vier, ins Auto steigen, zwo, drei, vier, alle da? Zwo, drei vier, brumm-brumm, zwo, drei vier, und wieder fährt eine Reihe von Wagen ab. Jetzt warten dort nur noch zweiunddreißig.
Inmitten dieses reibungslos funktionierenden Chaos steht ein kleiner, bärtiger Opa mit rundem Kopf und strahlendem, riesigem Lächeln wie in einer Zahnpastareklame, die auf einigermaßen wohlhabende, einigermaßen gläubige (in der Jugend einigermaßen rebellische, aber inzwischen einigermaßen beruhigte) asiatische Herren aus gutem Hause zielt. Er trägt Leinenhosen, ein Hemd mit offenem Kragen und eine Lederweste. Um die Hüften hat er sich eine rote Schärpe oder einen Kummerbund geschlungen, in dem eine kleine Sammlung von Gerätschaften und zwei Gegenstände stecken, die ich nur als Buschmesser bezeichnen kann. Er kommt mir auf eine eigenartige Weise bekannt vor, doch da er gleichzeitig den Verkehrsfluss der Flüchtlinge regelt, ein improvisiertes Rhythmuskollektiv leitet und gereizt mit einer Dorfältesten diskutiert, die es sich in den Kopf gesetzt hat, im Ort zu bleiben, und da er sich, während er all dies tut, auch noch gegen einen schlaksigen, nervösen Burschen mit dem Gehabe eines Großwesirs zur Wehr setzen muss, weil dieser ihn in einen Schutzanzug stecken will, fällt es mir schwer, in meinen Erinnerungen Parallelen zu finden.
Schließlich dreht er sich zu dem schlaksigen Kerl um und verscheucht ihn, fasst die Matrone an einer knochigen Hand und hebt sie trotz ihrer entzückten Proteste einfach hoch. Dieses Bündel Weiblichkeit behindert ihn nicht im Mindesten, während er zum hintersten Wagen rennt (noch fünfzehn Sekunden nach Gonzos erster Zählung, höchstens fünfundsechzig nach der neuen). Sein Wagen hebt sich wie ein Falke in einem Schwarm Spatzen von den anderen ab.
Es ist kein Stockcar. Natürlich ist kein einziger Wagen wirklich für ein Rennen gebaut worden, aber dieser hier unterscheidet sich von allen anderen. Im Gegensatz zu seinen farbenfrohen Brüdern ist es kein Honda Civic mit Lachgaseinspritzung und Spielereien im Getriebe, die jegliche Garantie erlöschen lassen, und auch kein brüllender Ford Focus, der zu einem kleinen Raketenschiff aufgemotzt worden ist. Es ist nicht einmal ein froschgrüner Subaru mit Turbolader und Reifen so breit wie der Arsch eines Seelöwen. Das Auto ist dunkelbraun lackiert und ebenso würdevoll wie stark. Es hat schusssichere, getönte Scheiben, hinter denen ich Vorhänge erkennen kann. Vorne ist ein silberner Engel angebracht, und der Motor ist von einer Art, wie sie sonst nur in kleine Flugzeuge eingebaut wird. Gut möglich, dass er die ersten Geflohenen einholt, bevor der Fahrer auch nur den Gang wechseln muss. Es ist unverkennbar ein Rolls-Royce, aber er ist auf die gleiche Weise ein Rolls-Royce, wie der Koh-i-Noor ein Diamant ist.
In dieses ungewöhnliche Fluchtfahrzeug stopft er nun die Matrone, die über seine skandalöse Ritterlichkeit laut lacht. Ein kurzer Blick, den ich ins Innere des Wagens werfen kann, verrät mir, dass er eine eigene Luftversorgung hat. Sobald die luftdichten Türen schließen, sind die Passagiere in Sicherheit. Der Großwesir, der offenbar auch als Fahrer fungiert, steigt nun ebenfalls ein. Mit einem letzten Blick, um sich zu vergewissern, dass die Evakuierung abgeschlossen ist, wirft der bärtige Alte einen Blick zu uns, hebt die Hände, um uns zu zeigen, dass alles in Ordnung ist, und vielleicht auch, um sich zu bedanken, und steigt ebenfalls ein. Der Wagen zögert noch einen Augenblick, bis der aufgemotzte Saab davor Platz macht. Dann ertönt ein Geräusch wie von einem alten Bullen, der sich kopfschüttelnd an seinen Sprössling wendet. (»Nein, mein Junge, wir werden nicht hinunterlaufen und eine Kuh ficken, sondern wir werden hinunter gehen und sie alle ficken.«) In einer Staubwolke verschwindet der Rolls-Royce. Der Konvoi bewegt sich
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