Die gelöschte Welt
viele Leute, dass dies möglich war, aber sie hielten es einfach nicht für nötig, es uns mitzuteilen, oder waren zu borniert, um es ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Jedenfalls setzen die Leute weltweit Waffen ein, die den unseren ähneln, und benutzen dazu offenbar Interkontinentalraketen. Es ist ein Glück, dass niemand Nuklearwaffen oder biologische Kampfmittel einsetzt. Ein Unglück ist es dagegen, dass unsere supergeheime Waffe offensichtlich das liebste Spielzeug von so ziemlich allen fortschrittlichen Nationen auf der Erde ist. Großstädte sehen auf einmal wie ein Schweizer Käse aus. Die Schweizer selbst haben eine auf dem gleichen Prinzip beruhende Strahlenkanone entwickelt und damit in Richtung Osten alles eingedampft, was in Reichweite war, damit die Russen sie nicht holen können. Aus Gründen, die ich nie verstanden habe, glauben die Schweizer immer noch, die Russen könnten jederzeit in die Alpen einfallen und ihre Babys fressen. Daher haben sie einen Korridor aus fruchtbarem Ackerland und ein paar Seen entfernt, nur um zu zeigen, dass sie es ernst meinen. Die Russen haben daraufhin ein Stück von China entfernt, das sie sowieso nicht leiden konnten, und inzwischen perforieren alle die Welt, die nach und nach das Aussehen eines Briefmarkenbogens bekommt. Ernst zu nehmende Kommentatoren (Leute, die kein eigenes Interesse am Krieg haben) gehen live auf Sendung und fordern, es müsse sofort aufhören, weil die Gefahr bestehe, dass die Welt auseinanderfliege oder in sich zusammenbreche, nachdem schon zu viel von ihr verschwunden sei, nur weil alle zeigen müssten, dass sie selbst die einzige Supermacht seien.
George Copsens dunkelgrauer Kommandostuhl steht auf einem kleinen Podium. In der Armlehne gibt es eine Fernbedienung für die Bildschirme im Raum, die sämtlich auf ihn ausgerichtet sind. Wer dort sitzt, kann den Kopf drehen oder sogar schütteln und trotzdem noch im Breitbildformat erkennen, was vor sich geht. Auch die Lautsprecher zielen auf den Stuhl, sodass es nicht viel besser wird, wenn er, wie jetzt, die Augen schließt. Wir beobachten, wie Trinidad schimmert und im Nichts verschwindet. Mir ist nicht klar, wieso irgendjemand etwas gegen Trinidad hatte, aber der Streit ist nun ein für alle Mal beigelegt. George Copsen murmelt etwas wie »oh«, aber es könnte auch ein hilfloses Stöhnen sein.
Wir warten auf Befehle und brauchen eine Weile, um zu erkennen, dass man uns vergessen hat. Das Kriegstheater ist geschlossen. Es ist sinnlos, einen Stellvertreterkrieg zu führen, wenn der richtige Krieg begonnen hat. Diese Gegend wurde nur deshalb als Schlachtfeld gewählt, weil sie absolut nutzlos war. Hier lebten einfach nur Menschen, und die einzigen Gründe, hier zu kämpfen, waren sozialer und politischer Natur. Schwammige Begriffe, die jetzt keine Rolle mehr spielen. Wir sind eine Armee am falschen Ort. Niemand hat Interesse, mit uns zu reden. Sie sind damit beschäftigt, einen echten Krieg mit irrealen Waffen zu kämpfen und einander vom Antlitz der Erde zu fegen. Es ist wie eine Allmachtsfantasie. Zielen, den Befehl geben – und was dich genervt hat, verschwindet. Das muss berauschend sein. Die Männer und Frauen in den Regierungssitzen der Welt berauschen sich an ihrer Macht und torkeln umher wie Betrunkene.
Ab und zu bieten wir General Copsen etwas zu essen oder zu trinken an, und einmal schlägt Richard P. Purvis vor, er solle zu den Männern sprechen. Der General reagiert nicht. Er trinkt nicht das Wasser, das links neben ihm steht, und isst auch nicht die Erdnüsse auf der rechten Seite. Er sitzt nur da, in sich selbst versunken, und gibt ab und zu ein kleines Geräusch von sich, ein klagendes Stöhnen. Er zuckt. Als ich direkt vor ihm stehe, sehe ich, dass er nicht in die Embryonalstellung gegangen ist, sondern wie gebannt die Bildschirme anstarrt. Ich schalte sie wieder ein. Die meisten sind leer, abgesehen von dem, der diesen Raum zeigt. Wir stehen alle herum und sehen uns selbst im Fernsehen. Da bin ich, wie ich mich selbst betrachte. Da winke ich mit der linken Hand. Jetzt mit der rechten Hand. Da stehe ich auf einem Bein. George Copsen tastet nach der Fernbedienung, und wir verschwinden.
Jeder im Raum denkt einen kleinen Augenblick lang, es sei wirklich geschehen, auch wir seien entfernt worden. Dann schauen wir einander etwas betreten an und erkennen, dass er eigentlich nur die Bildschirme abgeschaltet hat.
An diesem Punkt trifft Riley Tench eine sehr unglückliche
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