Die gelöschte Welt

zurückgewonnen haben. Jeden Abend versammeln sie sich zu einer Cocktailparty (auch wenn sie keine Cocktails haben), um sich zu ihren Erfolgen zu beglückwünschen, und starren auf das Rohr hinunter, auf den postindustriellen Matsch, den wir zurücklassen, und die trockenen, staubigen Ebenen der unkolonisierten Lebenszone. Weiter hinten können sie so etwas wie fruchtbare Erde und blinkende Lichter in der Nähe der Leitung entdecken. Das gibt ihnen ein warmes Gefühl, sie trinken darauf einen billigen Weißwein, als wäre es der edelste Tropfen (die sind uns leider ausgegangen), und gehen in Räumen von der Größe eines Kleiderschranks miteinander ins Bett, weil der Platz auf der Rohrseite mit anständigem Ausblick knapp ist und überwiegend den Waisenhäusern und den Krankenstationen vorbehalten bleibt. So bauen die Manager, die die Piper 90 leiten, in die Räume auf der Sturmseite Badewannen mit fließendem Warmwasser ein (in den Räumen auf der Rohrseite ist sowieso kein Platz dafür), um die anderen Leute zu ermuntern, dort zu leben. Gerüchteweise hört man, dass es einen verrückt macht, das Irreale zu sehen, selbst aus dieser Entfernung. Wenn das wahr sein sollte, dann ist ein heißes Bad eine mickrige Entschädigung, aber da ich sowieso nicht daran glaube, habe ich das Gefühl, mir einen kleinen Vorteil erschwindelt und niemandem geschadet zu haben. Die Manager dagegen meinen, sie hätten mich hereingelegt, aber sie wissen auch, dass ich das nicht glaube und nicht einmal für den ganzen Tee in Lager 7A in einen der Wandschränke einziehen würde. Also sind alle glücklich und zufrieden.
    Die Gerüchte besagen, die Aufräummannschaffen würden selbst unter dem Schutz des Aerosols FOX mit dem Zeug gesättigt werden, und wir bekämen seltsame, gefährliche Kinder mit eigenartigen Lebenswegen und erstaunlichen Namen. Gerüchteweise heißt es auch, man werde uns nie erlauben, in der Lebenszone zu wohnen, weil wir befleckt sind; die Zone wird rein sein und richtigen Menschen vorbehalten bleiben. Wir fallen durchs Raster, weil wir dem Zeug zu lange ausgesetzt waren. Angeblich wollen sie uns in die Randgebiete vertreiben oder uns ganz verschwinden lassen. Gonzo erzählt diese Gerüchte allen neuen Rekruten, die er auf der Dachterrasse der Piper 90 herumführt, und wartet, bis sie erschrocken einatmen. Dann springt er auf sie zu und brüllt: »BOOOOGIE-BOOGIE-boogie-boogie!«
    Wer sich dabei nicht in die Hosen macht, bekommt den Job. Höchstwahrscheinlich ist das alles ein ausgemachter Unfug – genau die Art von Legenden, die bei so etwas eben entstehen. Doch es trifft zu, dass sich dort draußen Wesen herumtreiben. Ebenso trifft zu, dass sie schrecklich sind.
    Letzte Woche sahen die Monster wie Büffel aus. Sie waren riesig und braun und stanken. Wie eine Dampfwalze kamen sie aus dem Nordosten und wirbelten eine Wolke aus erstickendem Staub auf. Sie starrten, brüllten und griffen die Piper 90 an, verteilten ihr Blut darauf und traten danach. Wir erschossen sie nacheinander aus sicherer Entfernung, sie starben bereitwillig. Jim Hepsobah meinte, es seien vorher möglicherweise tatsächlich Büffel gewesen. Inzwischen waren sie allerdings größer und schwerer, hatten mächtige Hufe und gespaltene Hörner mit scharfen Schneiden. Sie konnten auch springen, beinahe flogen sie schon. Die Traumgestalt einer zornigen Kuh. Tiere sind eigentlich ganz in Ordnung. Das Zeug verwandelt sie nicht grundsätzlich, sie werden höchstens etwas größer und böser, aber ein Tier ist nicht sonderlich schöpferisch. Ein Büffel will stärker sein als die anderen Büffel oder ein Wolfsrudel, oder er will eine Klippe überwinden, die ihm im Weg ist. Das ist nichts Besonderes. Menschliche Gedanken sind ein Problem. Wenn sich das Zeug mit einem Menschen verbindet, kann es viel komplizierter werden, viel verrückter und schrecklicher.
    Überwiegend ist das menschliche Bewusstsein nicht sonderlich konzentriert. Wenn wir ruhen, denken wir an hundert Dinge gleichzeitig, aber kein Gedanke ist besonders intensiv. Das Zeug, das solche Gedanken berührt, erschafft Kekse, Terminkalender, flüchtige Bilder aus früheren Zeiten, verschiedene Gerüche. Kein Problem. Das geht im großen Durcheinander des Irrealen unter, und die meisten Schöpfungen verblassen rasch. Das Bewusstsein eines Menschen, der unter Stress steht und Angst vor dem Sterben hat, ist ein ganz anderes Kapitel. So ein Bewusstsein ist sehr stark konzentriert und hat wesentlich