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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Gonzo zu und marschierte hinaus, wobei seine Schuhe wieder diese eigenartigen kleinen hellen und dumpfen Geräusche machten. Wir blickten ihm nach, dann ging Jim Hepsobah nach vorn und knurrte.
    »Was, zum Teufel, starrt ihr so? Ist das euer erster Tanz? Macht euch an die Arbeit, zieht eure Anzüge an, steigt in die Trucks, und dann erledigen wir diese Sache.« Irgendwie brachte uns das alle wieder auf den Teppich, und wir zogen unsere Schutzanzüge an, stiegen eilig ein und fuhren unter lautem Getöse und Motorenlärm ab. Ich blickte noch einmal in den Spiegel, als wir abrückten. Pistill war nirgendwo zu sehen. Auch die Wächter waren fort. Harrisburg war wieder eine Geisterstadt. Im hohen Fenster eines Gebäudes am Tor glaubte ich einen Augenblick lang noch einen silbernen Schimmer zu erkennen.
    Ich fuhr, Gonzo schlief. Jim hatte sich für den südlichen Weg entschieden, und Bone Brisketts Konvoi bewegte sich rasch, aber vorsichtig über gut unterhaltene Straßen. Niemand wollte mit zehn FOX-Bomben im Gepäck einen Unfall riskieren.
    Ich dachte über Templeton nach, und ob wirklich möglich sein konnte, was die Leute erzählten: Die Neuen steckten dahinter, die gefundenen Tausend zeigten jetzt ihr wahres Gesicht. Ich dachte auch über Zaher Bey nach – ein höchst unwahrscheinlicher Buhmann, aber andererseits hatte ich nie auf seiner Abschussliste gestanden. Ich hatte nur seine guten Seiten kennengelernt. Wenn es zutraf, wenn der Bey eine Armee von rachsüchtigen Albträumen anführte, dann stand uns ein weiterer Krieg bevor, in dem ich kämpfen würde. Vielleicht hatte er sogar schon begonnen. Vielleicht schlugen die gefundenen Tausend jetzt zurück. Wer weiß, was unsere Leute still und heimlich ausgeheckt hatten. Männer aus Gonzos altem Gewerbe schlichen draußen vor den Zäunen umher, um die Feinde zu erledigen, bevor diese zur Bedrohung wurden.
    Es gelang mir nur nicht, den Bey als Monster zu betrachten.
    Ich fragte mich, ob es daran lag, dass er mein Freund war – oder gewesen war.
    Das fragte ich mich drei Stunden lang, dann wachte Gonzo auf und übernahm das Lenkrad. Ich starrte den unvertrauten Himmel unseres neuen Trucks an und wünschte mir, wir hätten noch unseren alten. Dann machte ich mir noch eine Weile Sorgen, bis ich vom eintönigen Summen der Reifen auf der Straße müde wurde. Eine kleine Ecke des Mondes, die ich durchs Fenster bemerkt hatte, verschwand hinter den Wolken. Ich nickte ein, und wenn ich zwischendurch einmal erwachte, weil Gonzo etwas schärfer abbremste oder der Wind etwas heftiger um die scharfen Kanten des Führerhauses pfiff, dann dachte ich an das Feuer.
     
    Das Wunder des Feuers besteht darin, dass es stirbt. Es ist ein chemischer und manchmal auch ein atomarer Prozess, bei dem Dinge auf einer grundlegenden Ebene zusammenbrechen und sich neu verbinden. Ohne Feuer könnten wir nicht existieren, doch wenn es sich über den Punkt hinaus ausbreiten würde, an dem es schwindet, würde nichts überleben. Die Gnade des Feuers besteht darin, dass es Grenzen hat und gelöscht werden kann.
    Das gilt wenigstens für sehr kleine Feuer. Andere müssen einfach brennen, bis sie keine Nahrung mehr finden. Wir sind so stolz auf unsere Beherrschung der Elemente. 1945 haben wir Atome zerstört und freigelassen und hielten uns für sehr bedeutend. Doch ein großer Waldbrand setzt in zehn Minuten so viel Energie frei wie die Bombe, die Hiroshima vernichtete, und erzeugt eine Hitze, die vierhundertmal stärker ist als alles, was unsere besten Feuerwehren bekämpfen können. Das Feuer war unsere erste Magie und Wissenschaft, und wir haben es bis heute kaum gebändigt.
    Wie ein Imperium muss sich das Feuer ausdehnen. Es verzehrt den Grund, auf dem es steht, und kann deshalb nicht bleiben. In zwei Dimensionen lässt es sich eindämmen, jedoch nicht mit großer Zuverlässigkeit auch in der dritten. Eine Feuerschneise, wo der Bewuchs als Abwehrmaßnahme vorher verbrannt wird, dämmt den Waldbrand ein, und wenn die Leute ihre Sache gut gemacht haben, schlafen die Flammen ein und schwinden wie ein einsamer Bär dahin. Flammen brauchen Sauerstoff und genügend Wärme in der Umgebung, um am Leben zu bleiben. Dies ist der Dreisatz der Feuerwehrleute: lange genug die Luftzufuhr abschneiden, den Brennstoff kühlen und die Hitze ableiten. Dann ist das Werk vollbracht. So gingen wir auch bei unserem Plan vor. Die Sprengungen sollten die Flammen löschen, dem Brand den Sauerstoff entziehen und aus der

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