Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
Vom Netzwerk:
sich.
    Ich hatte Gonzo noch nie mit voller Kraft kämpfen sehen, und mir war gar nicht bewusst gewesen, wie beängstigend mein Freund sein konnte. Gonzo ging in gerader Linie auf den Schnurrbärtigen zu (Nahkampf, der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten, zum Gegner aufschließen, zuschlagen und nicht mehr damit aufhören) und hob unterwegs eine kurze Stahlstange auf. Vom Anzug behindert schritt Gonzo nicht so anmutig wie der Schnurrbärtige. Eher bewegte er sich wie eine Eisscholle. Der Schnurrbärtige hielt inne. Ihm gefiel nicht, was er vor sich sah. Dann huschte er weiter, nahm eine neue Stellung ein und ließ mit einem surrenden Geräusch den Haken an der Kette um sich kreisen.
    Gonzo lief mit voller Geschwindigkeit in den verschwommenen Schild des Schnurrbärtigen hinein. Seine Stahlstange erwischte den Haken, und er riss kräftig und überhaupt nicht elegant daran. Damit hatte der Schnurrbärtige nicht gerechnet. Jetzt musste er sich entscheiden. Entweder er folgte dem Zug und riskierte es, von Gonzo gepackt zu werden, oder er gab die Waffe frei und ergriff die Gelegenheit, seinerseits zuzuschlagen. Offenbar hielt er nicht viel davon, mit einem großen Mann in einem schwabbeligen Anzug zu ringen, und entschied sich für die zweite Möglichkeit. Der Haken flog davon, und der Schnurrbärtige hob eine Hand, drehte sich und rammte Gonzo mit einem Fuß, heftig wie eine Nietpistole, und zog sich auf einem anderen Weg zurück, sodass Gonzos heftiger Gegenschlag mit der Stahlstange nur die leere Luft traf. Immerhin, offensichtlich hatte er Respekt vor Gonzo.
    Der Schnurrbärtige griff wieder an, was sich aber als Fehler erweisen sollte. Gonzo wartete schon auf ihn und drosch ihm die Stange auf die Brust. Irgendetwas brach. Der Schnurrbärtige rollte sich ab und attackierte dabei Gonzos Bein. Ein einziger Tritt, der vermutlich den Wadenmuskel betäubte, denn Gonzo taumelte und musste hüpfen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Der Schnurrbärtige huschte nach rechts und hob den Haken wieder auf, aber statt noch einmal Gonzo anzugreifen, ging er auf uns los. Genauer gesagt, er hatte es auf die FOX-Bombe abgesehen. Seine Hand zuckte einmal, noch einmal – wie bei einem Angler, der die Leine auswirft, und der Haken flog über meinen Kopf hinweg und landete in den Eingeweiden der Bombe. Er durchtrennte einen Schlauch und traf die Verbindungsstücke und Dichtungen. Dann blieb er hängen. Der Schnurrbärtige zog, und der Haken löste sich wieder. Irgendwo machte es plink. Das war nicht der Haken, sondern die Bombe. Als der Schnurrbärtige seine Waffe einholte, kam noch etwas hinterher: ein Stück Schlauch und ein paar Metallstücke. Plink.
    Trotz des schrecklichen Feuers, das nur zehn Meter entfernt tobte, trotz des Schutzanzugs und trotz des Testosterons, meiner Angst und meines eigenen Atems hörte ich, wie das verdammte Ding zerbrach. Ich wich aus, und Gonzo folgte wie ein perfektes Spiegelbild meinem Beispiel. Ich sprang zu der lose pendelnden Leitung, auf den Schwanenhals aus magnetisiertem Metall zu, der mit dem Tank verbunden war, in dem das Zeug steckte. Ich sprang und erwischte ihn. Gonzo, kräftiger und weniger zartfühlend, stieß Jim Hepsobah zur Seite. So fanden wir uns beide mitten im Zielgebiet, als es geschah, als alle so schön ausgedachten Pläne vor die Hunde gingen und die Situation, wie Ronnie Cheung es ausgedrückt hätte, von hier bis zu Buddhas Dickdarm im Arsch war.
    Über uns barst das Ventil des Tanks mit dem Zeug. Das Zeug lief durch die magnetische Röhre herab und strömte heraus. Wir standen zusammen unter dem Wasserfall und wussten nicht, was nun geschehen mochte. Das Zeug interagierte mit uns, verband sich mit uns und tat, was es eben tun musste. Ich würde Hörner und einen Schwanz bekommen, und Leah würde mich nie wieder küssen. Aber wir hatten keine Zeit. Fünf Minuten waren vergangen. Also blieben uns noch einmal fünf, um das Reservegerät einzurichten und die anderen nicht zu enttäuschen. Genau das rief ich in mein Funkgerät, als ich aus dem Strahl heraussprang und zum Truck rannte. Der Schnurrbärtige starrte mich an. Vielleicht haben böse Leute mit Schnurrbärten keine Freunde, die so etwas für sie tun würden. Oder er konnte sich nicht vorstellen, wie irgendjemand, der kein böser Schnurrbartmann war, es einfach hinnahm, durch einen Strom des Zeugs waten zu müssen, um danach mit seiner Aufgabe fortzufahren. Wie auch immer, der Schnurrbärtige war jedenfalls abgelenkt.

Weitere Kostenlose Bücher