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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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haben sich danach von selbst richtig sortiert. Ich bin ich. Das finde ich schrecklich aufregend, und wieder muss ich kichern.
    Gonzo hat eine kleine, heldenhafte Verletzung davongetragen, ich dagegen bin völlig unversehrt. Mir sind keine Dämonenflügel gewachsen, ich habe mich weder grün verfärbt noch in ein Monster verwandelt. Ich vermute, gerade diese Immunität ist es, die alle anderen so misstrauisch macht. Ich bin der Kerl, durch dessen Handflächen ein paar Millionen Volt geflossen sind, die über seine Füße geerdet wurden, ohne ihm auch nur die Haare zu Berge stehen zu lassen. Ich bin die Frau, die aus dem Flugzeug stürzte und ohne die kleinste Verletzung wieder aufstand. So etwas passiert manchmal. Nicht sehr oft, nicht zuverlässig und sicher auch nicht, wenn man es erwartet. Aber ab und zu geschehen Wunder, und mir kam eines zu Hilfe. Das gilt auch für Gonzo, obwohl sein Arm entzündet, gequetscht und verbrannt ist, seine Rippen verpflastert sind und er wie eine Gewitterwolke aussieht. Gonzo ist immer wütend, nachdem er Angst hatte, was vermutlich die Zuschauer ablenken soll.
    Also ein Ruhetag. Schweigend sind wir übereingekommen, dass Gonzo mich nach Hause bringt.
    Die Tore des Himmels sind ein wenig gealtert, die Farbe schält sich ab. Vor Jahren habe ich sie gestrichen, weil Leah gern einen weißen Zaun haben wollte, aber wir mochten das veränderte Aussehen nicht. Deshalb kratzten und schliffen wir die Farbe wieder ab und ließen das Moos wachsen. Wind und Wetter haben den Angriff des Mooses unterstützt, und was vom glänzenden Weiß danach geblieben war, kräuselt sich und schält sich ab. Wenn man dem Tor einen harten Stoß versetzt, rieselt ein kleiner Schneeschauer trockener Farbflocken herab. Gonzo wirft mit geübter Hand das Tor auf, die Flügel bleiben in der Furche hängen, die frühere gewaltsame Öffnungen in den Boden gerissen haben. Sie beben und zittern noch eine Weile, bis die überschüssige Energie verbraucht ist. Irgendwann wird diese Belastung zu viel für sie sein, dann muss ich ein neues Tor besorgen. Vielleicht sollte ich es jetzt schon kaufen und eine Weile im Freien verwittern lassen. So hätten wir niemals neues Holz am Eingang.
    Gonzo bugsiert den Wagen durch das schmale Tor. Es ist fast schon ein Kunststück, wie er das Ding da zwischen den Pfosten hindurchmanövriert, ohne das Fahrzeug zu verkratzen oder die Pfosten umzuwerfen. Irgendwie huscht er hindurch und steuert den Wagen langsam und konzentriert über die lange Zufahrt. Ich kenne jede Bodenwelle. Zuerst zwei Schlaglöcher direkt hintereinander. Sie sind mit der Zeit tiefer geworden, weil ich durchgefahren bin, als das Regenwasser in ihnen stand. Dann der Kanal, ein eiserner Abfluss, der die Straße quert, direkt davor ein Flecken mit Kies. Das Auto holpert, und auf der anderen Seite kommt wieder ein Schlagloch, wo das Wasser über die obere Kante gelaufen ist und die Erde weggeschwemmt hat. Insgesamt mehr als eine Handbreit Höhenunterschied. Gonzo bringt die Räder einzeln nacheinander über das Loch, der Wagen wiegt sich leicht. Darauf folgen die Pfützen und noch ein Loch (wo ein schlammiger Weg aus der Zeit der Bauarbeiten die Zufahrt kreuzt) und die Fußabdrücke (wenn wir Kinder haben, werde ich ihnen erzählen, dass es die Fußabdrücke von Riesen sind, weil sie noch größer geworden sind, seit ich Leah durch ein Gewitter hierher trug und wegen der Saugkraft des Schlamms einen Stiefel verlor), dann die Schwelle – eine Steinplatte, die unsere Hofeinfahrt markiert. Gonzo fährt sachte hinüber und bewahrt meine Geschichte, wie ich es selbst nicht besser könnte.
    Jetzt wird sie gleich die Tür öffnen. Sie wird sie nicht auf einmal weit aufreißen, weil manchmal fliegende Händler oder Leute vor der Tür stehen, die sich in der Nacht auf der Straße verirrt haben. Einmal kam ein Einbrecher, obwohl das eine freundliche Beschreibung des Wesens ist, das sich ihr näherte. Ein unheimlicher, ständig schwatzender Soziopath, der nicht nur einen einfachen Diebstahl, sondern einen ganzen Sack voll übler und unerfreulicher Verbrechen im Schilde führte. Leah ist jedoch keine verwöhnte Stadtbewohnerin. Sie kann gut auf sich selbst aufpassen. Sie warf ihn auf den Rücken und wartete so lange, bis die Gendarmen kamen und ihn abholten.
    Also wird sie die Tür nur einen Spaltbreit öffnen, um sich zu vergewissern, dass nicht doch eine Enttäuschung vor der Tür lauert. Sie wird hinausspähen und den Truck sehen,

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