Die gelöschte Welt
trottet von irgendwo herbei (dieser Raum müsste eigentlich die Küche sein, aber es ist anscheinend ein Männersalon, ein üppiges Gonzo-Zimmer, das nach Gewürzen und Sandelholz riecht und ohne ausdrückliche Einladung für Frauen jeglicher Art nicht zugänglich ist).
Vor meinem inneren Auge sehe ich ein Zuhause – mein eigenes –, und mit den wirklichen Augen erblicke ich ein anderes. Diese Nische dort ist leer, weil wir die hässliche Vase, die dort stand, zerbrochen haben – aber sie ist nicht leer. Ein paar Regalbretter sind hineingeklemmt, auf denen alte Sporttrophäen und Jahrbücher der Soames School stehen. Der besseren Haltbarkeit wegen sind die Bücher mit dickem Leder eingebunden. Dort stand auch ein kleiner Beistelltisch (der jedoch ständig dort geblieben ist, weil wir ihn nie woandershin schoben oder entfernten), auf dem Leahs Fotos aus ihrer Zeit als Krankenschwester und meine Fotos von uns lagen. Jetzt steht dort eine Kommode aus Mahagoniimitat mit bunten, rotgoldenen Porzellanstücken, die leicht angeschlagen sind. An einem Ende klemmt eine grässliche Stoffpuppe, auf deren T-Shirt die Aufschrift »Liebe mich wie ein Kaninchen, Baby!!!« zu sehen ist. Ich glaube mich zu erinnern, dass Gonzo sie aus einem dieser Apparate geholt hat, in denen eine Kralle in eine Kiste greifen und einen Preis holen soll. In Wirklichkeit kramt der Greifer jedoch nur lahm herum und lässt alles fallen, was schwerer ist als der Furz eines Wiesels, um leer zum Ausgabeschacht zu fahren. Ich glaube, er brauchte siebzehn Versuche, und dann hatte er das Kaninchen und nicht die Kuh. Die Kuh trug ein Hemd mit der Aufschrift »Hast du mir ein Hörnchen mitgebracht?«.
Leah bringt uns Bier, und wir reden über Belanglosigkeiten, bis ich es nicht mehr ertragen kann. Ich entschuldige mich, gehe auf die Veranda und frage mich, was in aller Welt ich jetzt tun soll. Einfach losstürmen? Sie beide zur Rede stellen? Oder einzeln? Nachsichtig wie ein guter Ehemann mit Leah sprechen? Oder mit zorniger, göttlicher Verachtung? Liegt überhaupt eines davon im Rahmen meiner Möglichkeiten? Ich habe keine Ahnung.
Drinnen erzählt ihr Gonzo, was wir erlebt haben – der Unfall, das Plink und die Angst. Die Worte verstehe ich nicht, aber ich erkenne den Tonfall, das ehrfürchtige »Ich werde nie verstehen, wie wir das überlebt haben«, und dann spricht er leise weiter. Jetzt erzählt er ihr von dem Guss aus bösem, unmöglichem Zeug, der auf uns herabfiel, und was danach geschah oder nicht geschah. Sie blickt in meine Richtung, sie ist bleich vor Sorge. Ihre Lippen formen eine Frage: »Ist er …« Dann wende ich mich ab, bevor ich zusehen muss, wie sie fragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Nein, mit mir ist überhaupt nichts in Ordnung, ich bin in der Hölle.
Vielleicht ist es das. Vielleicht haben sie mich gar nicht betrogen, sondern ich bin bloß gestrandet. Vielleicht hat es mich in diesem Augenblick in eine Parallelwelt verschlagen. Eine gewaltige Strömung aus Energie und zerstörter Materie warf mich wie Buck Rogers in ein fremdes, beängstigendes Reich. Allerdings weiß ich genau, dass es nicht so war. Ich bin nur nass geworden. Deshalb weine ich, weil mir nichts anderes einfällt, bis ich nach einer Weile Gonzos Blick spüre, der mich durchs Fenster ansieht. Als ich mich umdrehe, steigt er die Treppe hoch, um ins Bett zu gehen. In mein Bett, daran besteht kein Zweifel. In das große Bett, das ich aus riesigen Scheiben einheimischer Bäume gebaut und im Hof abgeschliffen habe. Mein Ehebett. Dann steht Leah in der Tür, und ich warte darauf, dass sie irgendetwas sagt, damit wieder alles in Ordnung ist. Vielleicht führen wir auch irgendeinen verrückten, unglaublichen Plan aus, eine Geheimoperation von ausgebildeten Profis, und sie haben Leah gebeten, eine gewisse Rolle zu spielen, um den Verdacht abzulenken, weil Gonzo, der Gonzo der Sondereinsätze, irgendeine Bedrohung der Welt bekämpfen muss. Ich bin dann der Trumpf im Ärmel, das Geheimnis. Und Gonzo ist dank meiner Mitwirkung und dieser bizarren Täuschung unverwundbar.
Leah sieht mich an, erklärt aber nichts. Noch schlimmer, ihre Miene verrät ein furchtbares Mitgefühl. Sie weiß schon, was ich erhoffe, aber sie kann es mir nicht geben. Sie kann mir überhaupt nichts anbieten – außer Mitleid. Das tut sie auch, als sie zu mir kommt, mich leicht auf eine Wange küsst und mit brechender Stimme spricht.
»Es tut mir so leid«, flüstert Leah. »Im Salon ist ein
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