Die gelöschte Welt

nach Luft schnappen muss. Darauf sagt er:
    »Na gut. Willst du ein Bier?«
    So verrückt es klingen mag, mich tröstet das. Natürlich will ich ein Bier. Offensichtlich hat er eine Erklärung. Was er gehört hat, stört ihn überhaupt nicht. Die ganze Sache ist ein schlechter Scherz, der irgendwie in die Hose gegangen ist, oder – ja, genau. Diese seltsame Undercover-Operation, in die sie mich nicht vorher einweihen konnten. Es ist ein Test, den wir bestanden haben, und George Copsen, der in Wirklichkeit überhaupt nicht tot ist, wird gleich hinter dem Vorhang hervortreten und alles erklären. Gonzo fasst nach hinten und holt ein Bier, das er offenbar vor unserer Abfahrt dort abgestellt hat. Ich suche immer noch verzweifelt Copsens Versteck und denke schließlich, dass es ein außerdimensionaler Unterschlupf sein muss: Professor Derek hat noch mehr Tricks auf Lager, die immer bemerkenswerter werden. Inzwischen sind wir allerdings in eine seltsame, höchst eigenartige Welt übergewechselt, denn als Gonzos Hand hinter dem Sitz wieder hochkommt, hält sie kein Bier, sondern eine nicht gerade kleine Pistole. Sie ist professionell grau, und er bietet sie mir nicht an, sondern unterstreicht seinen Irrtum noch, indem er auf meinen Kopf zielt.
    Genauer gesagt, er zielt nicht auf meinen Kopf, sondern irgendwie allgemein auf mich. Aber wenn ich in die Mündung sehe, wo die Kugel mit der weichen Spitze (nicht operativ zu entfernen und unbedingt tödlich) in der Kammer sitzt, kann ich mir gut vorstellen, wie das Ding losgeht und mein Gehirn nach hinten gegen das teure Polster spritzt. Daher muss ich an meinen Kopf denken, auch wenn der Lauf mehr oder weniger auf meinen Rumpf zielt.
    Vor zwanzig Stunden war Gonzo ein Held und ein Flegel wie aus einem Cartoon, ein ewiger großer Junge mit dem Körper eines Herkules. Er trank Bier aus der Flasche, mochte scharfe Steaks und Frauen und wäre ohne Zögern zwischen einen kleinen Hund und einen heranrasenden Truck gesprungen, einfach weil er irgendwie das Gefühl hatte, es wäre richtig so. Dieser Gonzo hier ist ein ganz anderer Typ – ein aalglatter Bastard mit Designerschuhen und einem schmierigen, halb bedauernden Gesichtsausdruck, der einem verrät, dass ihm im Grunde alles verdammt egal ist. Dieser Gonzo ist nicht mehr mein Freund, sondern nur ein Typ, dem ich einige Male begegnet bin. Natürlich, wir mögen uns, aber wenn ein Hai im Wasser ist, dann hofft Gonzo letzten Endes, er würde mich ganz herunterschlingen, und ich wäre fett genug, um ihn satt zu machen, oder dass er an meinem halb zerkauten Bein erstickt. Er ist ein Typ, der mich im Stich lässt und hofft, dass Haie sich nicht übergeben können.
    »Steig aus«, sagt Gonzo zu mir. Er wedelt mit der Pistole, beobachtet aber hauptsächlich die Straße. Er wird es aus dem Augenwinkel sehen, wenn ich mich bewege. Seine geschulten Reflexe werden einsetzen, seine Muskeln und Gelenke werden sich bewegen und die einfache Reaktion auslösen: Er wird feuern. Deshalb bleibe ich äußerst ruhig. Die Pistole schwankt leicht und zeigt einen Augenblick lang nach unten und ein wenig hinter mich. Statt mir vorzustellen, wie mein Kopf zerplatzt, sehe ich nun, was passieren wird, wenn er in diese Richtung feuert. Die Kugel wird den riesigen Benzintank durchschlagen, und die gespeicherte Energie wird sich in einer gewaltigen Stichflamme entladen. Einen Sekundenbruchteil lang wird es so aussehen wie einer dieser Feuerwerkskörper, die damals in Jarndice die Hippie-Sprösslinge hatten. Und dann wird es wie eine Miniatursonne aussehen. Wir werden das aber nicht mehr beobachten können, weil unsere Augen in den Höhlen verbrennen und unsere Gehirne ihnen gleich darauf folgen werden, bevor wir überhaupt eine Gelegenheit haben, den Mechanismus zu verstehen, durch den wir sterben.
    Als mir diese Gedanken kommen, bin ich bereit oder sogar begierig, den Truck zu verlassen. Dies könnte die recht verfahrene Situation auflösen. Irgendwie habe ich das Gefühl, man habe mir übel mitgespielt; denn schließlich bin ich es, dem ein schlimmes Unrecht geschehen ist. Gonzo ist schuldig (falls ich in dieser Hinsicht jemals Zweifel hatte, so sind sie völlig verschwunden) und sollte eigentlich Reue empfinden. Aber so geht es eben – es fällt leichter, zornig zu sein. Vielleicht habe ich mich in der Vergangenheit gegen Gonzo versündigt. Hin und wieder kommt es einmal vor, dass man seine Freunde gedankenlos verletzt. Ich frage mich einen Moment lang,