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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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damit nicht, dass er klein wäre. Es gibt viele kleine Menschen, die ganz nett sind, und viele andere, die nicht unter dem leiden, was die Psychologen als Napoleonkomplex und die Nachkommen des goldenohrigen Bey als Mustafas Kolik bezeichnen. Sie gehen ihren Geschäften nach und haben keineswegs den Drang, ein Weltreich zu beherrschen. Wahrscheinlich haben sie dank ihrer Erziehung gelernt, dass eine geringe Körpergröße durchaus von Vorteil sein kann, weil man damit in der Lage ist, als Akrobat zu arbeiten, im Film besser wirkt und in italienische Sportwagen passt. Außerdem knallt man nicht dauernd mit dem Kopf gegen die Bretter, wenn man im unteren Etagenbett Sex hat. Der missmutige Pete ist anders. Er hat seine Verachtung der Größe zur Kunst erhoben. Er ist nicht so sehr klein, sondern vielmehr anti-groß. In einer Gruppe von Menschen fällt er sofort auf, weil er sich streitsüchtig gibt. Eine dräuende Kleinheit. Er trägt seine Antigröße in alles hinein, was er tut. Sein schmales, erregtes Gesicht ist wie eine Landkarte für die Heimat aller übellaunigen Deppen. Er ist von Maßeinheiten aller Art besessen. Besonders wenn es darum geht, seine eigene Überlegenheit zu demonstrieren. In Petes Werkstatt gibt es keine Fehler. Er hat sie analysiert und ausgerottet. Er führt Listen und Akten, immer wieder neu organisierte und erforschte komplizierte genealogische Untersuchungen des Versagens. Binnen vier Jahren hat er zweihunderteinunddreißig Hilfsmechaniker verschlissen.
    In Petes Werkstatt gibt es weder Kompromisse noch Halbheiten. Er gibt das Fahrzeug frei, wenn es fertig ist, oder überhaupt nicht. Er warnt die Fahrer, die Gänge nicht zu hart einzulegen, weil man sonst schon nach einem Monat ein neues Getriebe braucht, und wenn man das Fahrzeug dann zu ihm schleppt, nimmt er einem die Schlüssel ab und gibt einem das Gefühl, man solle vor Scham im Boden versinken. Er schmollt leidenschaftlicher als jeder andere lebende Mensch. Er bläst seine Rechnungen nicht auf – sie sind pedantisch genau und mit perfekten Druckbuchstaben geschrieben. Jeder Buchstabe ist ein genaues Ebenbild der anderen (von seiner Art), keiner ist kleiner oder größer. Abweichungen sind ausgeschlossen, und verboten sind sie sowieso. Die Werkstatt ist sauber, abgesehen von den gelb gekennzeichneten Bereichen, in denen Öl und Schmiere unumgänglich und erlaubt sind. Alle Sicherheitsvorschriften sind zu beachten. Man muss Schutzhelme tragen. Rosafarbene und blaue Zettel führen den Kunden unausweichlich zum Ersatzteilbedarf und zur Arbeitszeitberechnung, während die Goldblätter (das ist der Name der gelben Streifen und daher der Name, der in Petes Werkstatt benutzt wird) durch Petes Eingangskörbchen bis in sein selbst erfundenes Ablagesystem wandern. So kann er mit einem Blick auf die Zeitstempel alles überwachen, überprüfen und nochmals überprüfen und außerdem seine Mitarbeiter und ihre Arbeitsmoral immerzu im Auge behalten. Bei der letzten Betriebsprüfung kehrten zwei Anzugträger mit ihren Rechenschiebern heulend nach Haviland City zurück, weil er ihnen in gerade mal neunundvierzig Minuten zwei Fehler und eine Schludrigkeit in ihren Berechnungen nachweisen konnte.
    Ich weiß nicht, ob Pete Gottes liebster Mechaniker ist. Er flucht nicht und betrügt niemals. Er ist die leibhaftige Perfektion und Präzision. Andererseits hält er Barmherzigkeit für einen psychischen Schaden. Gott existiert wohl in vielen Gestalten, aber fast alle wären beleidigt, wenn sie sich in der gleichen Kategorie wie dieser kleine Wicht mit dem spitzen Gesicht, der unverfrorenen Selbstsicherheit und seinem höhnischen Geiz wiederfänden. Für den missmutigen Pete gibt es nur eine Hölle, und die sieht so aus: Die Fahrzeuge, die uns gehören, leiht er uns nur, und wir entführen sie und machen verantwortungslose Dinge mit ihnen, wie etwa durch Schlamm und Staub zu fahren, worauf er sie als heruntergekommene wieder annehmen und herrichten muss, damit wir sie von Neuem quälen können. Dabei interessiert ihn nicht, dass wir für seine Dienste zahlen. Pete hätte ohnehin genug Arbeit, denn er genießt in der Lebenszone einen legendären Ruf. Der entscheidende Punkt ist dagegen, dass wir ihm unnötige Probleme bereiten, die auf einer Kurve zwischen den Polen »nachvollziehbare Abnutzung und Alterung« und »ärgerlicherweise zusätzlich notwendige Reparaturen« messbar ist. Wir sind völlig rücksichtslos, und er kommt sich wie ein Arzt in der

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