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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Ike nickt. Andromas nickt nicht, sondern starrt nur wie eine Katze vor sich hin, eine Katze, der jemand gesagt hat, sie solle vom Bett verschwinden. Er starrt den Horizont an, als spräche ich über jemand anders. Ich schwenke die Hand vor seiner Schutzbrille.
    »He! Ich fahre allein!«
    Andromas nickt. Ja. Ich fahre allein. Andromas fährt nur zufällig zur gleichen Zeit in die gleiche Richtung. Er folgt mir nicht. Wir sind Reisende mit einem gemeinsamen Ziel. Zufälle sind wundervoll, Hesperus ist Phosphorus, kein Grund zur Besorgnis. Ich wende mich an Ike, dessen Miene sich nicht verändert hat. Es ist nicht sein Problem, er kann ohnehin nichts tun, und was will ich überhaupt von ihm? Ich befinde mich inmitten einer wohlwollenden Verschwörung von lauter Idioten.
    Andromas hebt eine Seite seines Mantels am Aufschlag halb übers Gesicht (das natürlich bereits von seiner Gazemaske bedeckt ist – seit wann finde ich die eigentlich nicht mehr beunruhigend und verrückt?) und stolziert vorwärts. Dann marschiert er nach links und geht einmal ganz um uns herum. Anschließend hebt er den anderen Aufschlag und marschiert den gleichen Weg wieder zurück. Er wird sich tarnen. Er wird so unsichtbar sein wie der Wind in den Bäumen und der Schatten des Tigers im Mondlicht. Niemand wird ihn bemerken.
    Abgesehen von den paar Leuten auf der Welt, die nicht völlig blind sind.
    Vielleicht kann ich ihn unterwegs abschütteln.
    »Komm mir nicht in den Weg«, sage ich zu ihm. Andromas nickt glücklich und eilt davon, um seinen Truck warmlaufen zu lassen. Annabelle – Trucks sollten richtige Namen haben, nicht so alberne wie Magie des Andromas – wartet schon. Ich drehe mich noch einmal zu Ike um.
    »Es tut mir leid«, sage ich zu ihm. »Ich denke einfach nur, ich sollte das allein erledigen.«
    Ike grinst.
    »Ich bin Pantomime«, sagt er. »Nicht Superman. Was könnten wir schon tun, außer dir in die Quere zu kommen? Aber wenn du uns brauchst, wird Andromas wissen, wie du uns finden kannst. Und K natürlich auch.«
    Meine Eingreiftruppe. Ich kann gar nicht verlieren.
    »Vielleicht überrascht dich Andromas noch.«
    Ja. Das ist wohl ziemlich sicher.
    Irgendwo ertönt ein lautes Geräusch, irgendetwas zwischen einem Signalhorn und einer Fanfare. Andromas, der mich nicht begleitet, daran würde er nicht im Traum denken, er fährt vielmehr nur zufällig in die gleiche Richtung, will endlich aufbrechen. Ich steige ins Führerhaus. Das Matahuxee Mime Combine stellt sich in einer langen Reihe vor dem Haus der Lubitschs auf und winkt, jeder gegenüber dem vorherigen um eine Winzigkeit asynchron. Gonzos Eltern stehen auf der Veranda und sehen uns zu. Wir haben uns schon verabschiedet. Die greifbaren Beweise dafür liegen neben mir auf Annabelles Sitzbank: ein Bündel Kleider, eine Tupperdose und ein Umschlag. Die Kleider wirken wie eine bunte Mischung – abgelegte Sachen von Gonzo und ein paar dieser geheimnisvollen Dinge, die sich in einem großen Haus über die Jahre ansammeln (die kanariengelbe Weste mag ich besonders gern; ich kann mir bloß keinen Anlass vorstellen, zu dem ich so etwas tragen würde), und zwei Bahnen glatten schwarzen Stoffs – eine Ninja-Kluft, die ungefähr meiner Größe entspricht, um in den Reihen der Feinde Verwirrung zu stiften. Sie riecht leicht nach Bienen. Ich lege sie sofort wieder weg und öffne den Umschlag. Geld. Kein Vermögen, aber eine ansehnliche Summe und damit erheblich mehr, als ich vorher besaß. Geld, das es mir leichter macht. Als Letztes noch eine Karte, auf die der alte Lubitsch in seiner schrecklichen Klaue nur zwei Worte geschrieben hat. Es ist der Name des Managers, der Gonzo zu seinem wichtigen neuen Job geholt hat. Ein Name, den ich bereits kenne: Richard Washburn.
    Wir sehen uns wieder, Dickwash.
    Die Tupperdose ist eine einfachere Angelegenheit. Sie wirkt altmodisch – eine Schüssel aus trübem Plastik und ein stramm sitzender Deckel, der an einer Seite eine dünne Lasche hat, damit man ihn besser abziehen kann. In der Dose liegt ein Sandwich – selbst gebackenes Brot mit mehr Hühnchen, Speck, Salat, Tomate, Ei, Käse und Mayonnaise, als ein Stück Brot, das etwas auf sich hält, jemals als Beladung akzeptieren würde, und dazu noch eine Flasche voll von selbst gemachter Limonade. Ich finde sogar noch einen Apfel und einen kleinen Topf Honig.
    Ma Lubitsch hat mir ein Lunchpaket gemacht – und ihre Liebe dazugepackt.
     

14 Innerhalb des Systems arbeiten
• Belastende

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