Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
Vom Netzwerk:
von Jahrzehnten und unglaublich unterschiedliche Erfahrungen hinweg ermöglichte. Er hatte sie gewarnt, dass so etwas durchaus möglich sei. Obwohl sie es besser wusste, rechnete Elisabeth, die das filmische Erbe des Gongfu und die Kultur der einander bekämpfenden Schulen kannte, damit, dass seine älteren Studenten aus dem Unterholz hervorspringen und sie schnappen würden, auf dass sie mit ihnen gemeinsame Sache machte und die Feinde auslöschte. Nichts dergleichen geschah aber. So beschloss sie beleidigt, diese Aufgabe selbst zu übernehmen oder wenigstens doch die vermissten Schüler aufzutreiben und zu fragen, warum sie keine angemessenen Rachepläne schmiedeten. Sie änderte ihre Studienfächer, um dieses Vorhaben zu erleichtern, und erwarb einen Abschluss als Journalistin, der es ihr erlaubte, zu reisen und Nachforschungen anzustellen. Die bescheidene Unterstützung aus Evander Soames' Vermächtnis befreite sie von dem Zwang, allzu häufig Reportagen einreichen zu müssen. Sie streifte umher, suchte und hörte Gerüchte: Es gebe einen Mann namens Smith. Er habe sich nach Wu Shenyang erkundigt. Sogar an vielen Orten. Die Art seiner Erkundigungen habe bei den meisten Menschen den Wunsch geweckt, den Mann möglichst schnell wieder zu vergessen. Er machte den Leuten Angst und gab ihnen zu verstehen, dass ihm dies Freude bereitete. Er erkannte genau, wo er Druck ausüben musste, damit sich die Menschen fügten. Smith konnte vielleicht freundlich sein, aber richtig nett war er nie. Smith war ein harter Mann und hatte diesen Namen gewählt, weil es ihm egal war, wenn die Leute annahmen, dies sei gar nicht sein richtiger Name. Er wollte einfach nur sicher sein, dass er keine Spuren hinterließ. Wenn irgendjemand etwas über den Tod von Wu Shenyang wusste, dann war es dieser böse, furchtbare Smith. Also machte sich Elisabeth auf, ihn zu suchen.
    Für einen so großen Mann war Smith schwer zu fassen. Sie stieß auf seine Spuren und folgte ihnen bis zu einem Hotel oder einer Bar, einem Privathaus oder einem Geschäft. Doch so sehr sie sich beeilte, stets war er schon lange wieder fort. Smith konnte in einen Hummertopf springen und ihn durch die Hintertür wieder verlassen. Er kannte in den schlimmsten Gegenden aller Länder der Welt sämtliche kleinen Gassen. Doch auch Elisabeth lernte sie kennen. Sie trank helles Bier in einem Keller in Phuket und nippte fermentierte Stutenmilch in der Mongolei. Sie zahlte kleine Summen an Grenzwächter – für die Ausbildung Ihres Sohnes, mon Capitaine, denn wie ich höre, ist er ein ganz herausragender Junge … aber nein, ich werde in der Schlange warten … nun gut, wenn Sie darauf bestehen … nein, zwischen uns soll keine Schuld bestehen bleiben, wir sind doch eine Familie, denn Ihre Frau zeigte mir, wie man am besten Melonen einkauft – und lächelte mit roten Lippen leichtgläubige Männer an. Sie besuchte Babypartys in Idaho und spielte Darts mit den Männern in Arbeiterclubs, stellte in verschwiegenen Ecken und in Gesprächspausen Fragen und musste meistens behaupten, sie sei missverstanden worden. Überwiegend hatten die Menschen noch nie etwas vom Stummen Drachen gehört und glaubten auch nicht an Ninjas (zumal das Wort mit Nina, Ginger, Indianern und vielen anderen Wörtern verwechselt werden kann, die in einer alltäglichen Unterhaltung auftauchen können). So zog Elisabeth lächelnd ihres Weges und ward nicht mehr gesehen. Hin und wieder aber winkte jemand sie an den unwahrscheinlichsten Orten an die Seite oder ließ sie Schweigen geloben – darüber rede ich nicht; ich kenne ihn; was will denn ein Mädchen wie du … verrate bloß niemandem, dass du es von mir hast.
    Sie folgte Smith durch das kriegerische, gefährliche Gewirr von Addeh Katir, als die Große Löschung stattfand und die Welt sich unwiderruflich veränderte. Sie versteckte sich, kämpfte und blieb am Leben, bis die verschlungenen Wege ihres Lebens sie in eine Stadt namens Borristry am Rohr führten. Dort arbeitete sie als Köchin, Putzfrau, Obstpflückerin und Assistentin eines Zauberers und landete schließlich bei einer Truppe reisender Pantomimen von zweifelhaftem Ruf und mit eigenartigen Talenten, die von einem glucksenden Unruhestifter namens Ike Thermite geleitet wurde. Unter Ikes Fittichen und in Gestalt des Dr. Andromas – sie hatte nicht den Wunsch, das Matahuxee Mime Combine zu vernichten – setzte sie ihre Suche fort.
    Schließlich hörte sie in Conradinburg in einer vergilbten

Weitere Kostenlose Bücher