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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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Schlange. Dann schnellt er vor, und seine Hand – die böse Hand – trifft mich irgendwo am Oberkörper. Die Weisheit des Wahnsinnigen rettet mir das Leben, denn gegen jede Intuition habe ich mich dem Schlag entgegengeworfen. Das rettet mir das Leben. Die Kraft verpufft zu früh, es ist kein richtiger schneller Schlag, sondern eher ein Stoß. Trotzdem heben sich meine Füße vom Boden.
    Pistills Interesse an mir ist erloschen, und das verheißt nichts Gutes. Sein Gesicht ist unter mir und wird rasch kleiner. Mir tut die Brust weh. Sollte ich nicht so langsam mal wieder landen? Ich muss an Meister Wus Goldfischteich denken. Werde ich dieses Mal im Pool landen? Das wäre gar nicht so schlecht. Vielleicht kommen dann Leute heraus und sehen nach, was hier los ist. Pistill folgt mir langsam. Er weiß etwas, das mir nicht bekannt ist. Schon wieder. Vielleicht fliege ich zum flachen Ende des Pools oder in Richtung der Kante (wo ein hässlicher häuslicher Unfall auf mich wartet). Ich blicke nach unten, um mich zu vergewissern, und erkenne endlich, was mir droht. Unter mir gibt es nur Luft und Dunkelheit. Ich bin über die Brüstung geflogen. Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Translation, sofern er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird. Stürzend entferne ich mich von Humbert Pistill, was mich irgendwie überrascht. Er ist so groß und dicht, er sollte eine eigene Schwerkraft besitzen. Mit leerem, gelangweiltem Gesicht blickt er zu mir herab, bis ich aus dem erleuchteten Bereich verschwunden bin und durch den Schatten falle. Ich bin besiegt, und jetzt werde ich gleich sehr, sehr fest auf dem Boden aufschlagen.
    Irgendetwas packt jedoch meinen Fuß und zieht mich in Richtung der Betonstützen der Veranda. Wundervoll. Also werde ich doch nicht auf dem Boden aufschlagen, sondern seitlich gegen die Mauer prallen. Vielleicht werde ich dabei nur die Hälfte meines Gehirns verlieren, aber da ich einiges in Gonzos Kopf zurückließ, wird das höchstens noch ein Viertelhirn sein. Und selbst das ist womöglich zu hoch gegriffen.
    Mein Bein brennt. Warum zünden die Leute immer meine Füße an? So ein Mist. Aber ich bin noch nicht gegen die Mauer geprallt. Finger, fast wie Drähte, haben sich um meinen Fuß gelegt, mein Kopf pendelt gefährlich nahe vor dem Beton, berührt ihn aber nicht. Mein Knie tut weh. Meine Brust schmerzt. Aber ich bin nicht tot – mal wieder.
    Mit einem angestrengten Grunzen zieht mich Dr. Andromas an sich. Er hängt in einer Art Spinnennetz aus Seilen und Haken vorübergehend genau so wie ich mit dem Kopf nach unten. Als er uns stabilisiert hat, macht er irgendetwas mit einem kleinen Kästchen, und wir gleiten langsam zu Boden. Unten angekommen packt mich Dr. Andromas am Kragen und sagt aufgebracht: »Du Idiot !«Dann reißt er sich die Fliegerbrille und den Schnurrbart ab und küsst mich fest auf den Mund. Erst jetzt, nach all der Zeit, wird mir bewusst, dass Dr. Andromas ein Mädchen ist. Genauer gesagt, dass Hesperus Phosphorus ist, und Clark Kent ist Superman, und Dr. Andromas ist Elisabeth Soames aus Cricklewood Cove.
    Sie beendet den Kuss, flucht wie ein Fischweib und schleppt mich den Hügel hinunter zur Magie des Andromas, der unter einem Baum parkt. Ich sinke auf den Beifahrersitz, und sie fährt los. Schließlich sieht sie mich wieder an.
    »Idiot«, sagt sie noch einmal gereizt, aber es klingt schon beinahe so, als hätte ich etwas richtig gemacht.
     
    Die Magie des Andromas wirkt weder schnell noch unauffällig, aber offenbar sucht niemand nach uns. Humbert Pistill hat mich über die Brüstung geworfen und ist wieder hineingegangen, um etwas zu trinken und sich zu vergnügen. Niemand außer Buddy Keene wird mich auf der Party vermissen. Elisabeth Soames lenkt den Wagen durch Havilands nächtliche Straßen. Um die Form zu wahren, hat sie ihren (in meinen Augen mittlerweile überhaupt nicht mehr überzeugenden Schnurrbart) wieder angeklebt und den Hut aufgesetzt. Ich ducke mich und versuche, wie eine Kulisse auszusehen. Das wäre sogar dann schon unbequem, wenn nicht gerade jemand versucht hätte, mich mit seiner eisernen Todesfaust zu erledigen. Endlich fährt sie um eine Ecke in eine Tiefgarage und führt mich an der Hand durch eine Wartungstür in einen feuchten Tunnel. Dann geht es einige Treppen hinauf bis zum Dach, wo jemand ein paar Taubenschläge zu einer Art Behausung umgebaut hat. Inzwischen bin ich zu der

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