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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ein anderer geheimnisvoller Raum, in dem ein junger Mann ein ganzes fremdes Land entdecken konnte. Unter der gewölbten Decke des Wohnzimmers flogen in der Dämmerung Gargoylen zwischen ihren Schlafplätzen umher. Das Familienzimmer, in das sich seine Eltern im Winter zu langen, mit Whisky getränkten Kaminabenden zurückzogen, war von gnomenhaften Metallarbeitern bevölkert, die legendäre Schwerter und tödliche Piken herstellten. Wenn er brav und still war und gelegentlich geschickt aushalf, hatten sie nichts dagegen, dass der kleine Menschenjunge zusah und etwas lernte, solange er nur schwor (mit einer Hand auf dem Herzen und einem Fuß auf einem Eisenzapfen), niemandem etwas zu verraten. Als er dann älter war, flüsterte ihm der Herd zwischen Kartoffelsäcken und Zwiebelzöpfen erstaunlich präzise Ratschläge für romantische Begegnungen ein und half ihm sogar, die Hingabe eines bestimmten Mädchens zu gewinnen, was ihm bislang völlig unbekannte Erlebnisse bescherte.
    Es war ein Haus voller Wunder.
    Im dritten von drei langen und heißen Sommern, die die Welt damals über sich ergehen lassen musste, erreichte der Junge mit dem unglücklichen Namen (sein Vater war Caspian Pistill aus Tennessee, seine Mutter eine spindeldürre Frau aus dem Osten – und zwar so weit aus dem Osten, dass sie eigentlich schon wieder aus dem Westen kam) das Mannesalter, verließ seine Heimatstadt und nahm sein Leben selbst in die Hand. Als Soldat schlug er sich in einem weit entfernten Dschungel herum (was für diese Nation und das Volk seines Vaters eine gewohnte Übung war, die unter anderem dazu beitrug, aus einem Kind einen Erwachsenen zu machen, der wählen durfte; leider beraubte dies Humbert Pistill auch einer Reihe sonst allgemein akzeptierter moralischer Grundsätze, wie es im Krieg so häufig geschieht) und besuchte danach als Student eine Bildungseinrichtung (damals noch eine recht neue Gepflogenheit in diesem Land). Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass sein Vater seine Mutter hinausgeworfen hatte, um sich einen jüngeren Ersatz zu beschaffen. Sie stritten sich. Er informierte seinen Vater, dieser habe sich wie ein unehrliches, hinterhältiges Wiesel verhalten. Caspian Pistill nahm dies widerspruchslos hin und ging sogar so weit, die Begriffe »verdorbener Kerl, Schürzenjäger und Wüstling« hinzuzufügen. Dieses Eingeständnis – gepaart mit einem geradezu aggressiven Mangel an Reue – machte Humbert fuchsteufelswild. Erst im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass er Caspian Pistill mit dem Handrücken geschlagen hatte. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern, musste aber einräumen, dass er über diese Entscheidung gar nicht so unglücklich war. Caspian stützte sich auf das Sofa, das Humbert als Kind als Piratenschiff verwendet hatte, und forderte seinen Sohn auf, das Haus zu verlassen. Was dieser auch tat.
    Humbert Pistill ging auf Reisen, arbeitete für eine angesehene Firma und bemühte sich, seinen ärgerlichen Vater zu vergessen. Zwar verblasste der alte Mann schnell in seiner Erinnerung, doch das Haus blieb für ihn sehr lebendig – und davon zu träumen, schmerzte ihn sehr. Er wurde älter, wurde befördert, gab sich der Lust hin und verlor das Interesse daran, kämpfte in Dojos und gelegentlich in Kneipen und Gassen, um seine Wut auszutoben. Und letztlich war er von allem, was er besaß, gelangweilt und enttäuscht. Dann aber, eines Montags im Oktober, als er mit der Zulassung für die Universität rang, begegnete er zufällig Mr Eliard Rusth, dem Bruder seiner Mutter.
    Mr Rusth (was sich auf »Mast« reimt) war ein kleiner, kompakt gebauter Mann mit einem Kahlkopf. Er trug eine lange Jacke mit kurzem Kragen und betrachtete die Welt durch kreisrunde Brillengläser. Diese verliehen ihm das teils aufgelöste, teils ausgehöhlte Erscheinungsbild, das einen Schneemann einen Tag nach seinem Bau befällt. Er fragte Humbert, ob dieser ein unbedeutender Mann bleiben oder lieber auf der großen Bühne spielen wolle, worauf Humbert Pistill erwiderte, wenn er es sich schon aussuchen könne, dann würde er doch eher Letzteres vorziehen. Eliard Rusth erwiderte, er sei nicht da, um über Wünsche zu reden. Wenn Humbert aber nichts weiter als Wünsche habe, dann sei Eliard Rusth hier am falschen Ort und werde sich wieder entfernen.
    Humbert Pistill wiederholte seine Antwort mit stärkeren Begriffen.
    Größe, erklärte Eliard Rusth, erreiche man nicht, wenn man auf eigene Rechnung arbeite. So könne man zwar ein

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