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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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ich jetzt. Zwar nicht im echten Einsatz, aber es ist erheblich ernster als noch vor zwanzig Minuten. Ronnie Cheung beobachtet mich, ob ich vorsichtig bin und mich zurückhalte, und sagt meinem Gegner, er solle ernsthaft versuchen, mich zu verletzen. Riley Tench bemüht sich, sein Ansehen wiederherzustellen, und greift mit voller Kraft an. Er macht es mir beinahe zu leicht. Sein Angriff kommt hoch und hart, ein einfaches Manöver, dem ich mit einer Drehung und einem Schritt entkomme. Ich streife ihn und winde mich, dann prallen wir kurz aufeinander, was ihn erst hierhin und dann dorthin wirft. Und auf einmal liegt er am Boden. Sofort springt er wieder auf. Ronnie Cheung wirft ihm ein Übungsmesser zu. Riley zielt auf meinen Bauch, dann verändert er die Bewegung und führt einen Streich. Ich unterlaufe den Angriff, stoße ihn mit meinen Hüften, dass er »pfft« macht und sich verkrampft, und schon kann ich den Arm mit dem Messer um meinen eigenen Körper herumbiegen (dabei ramme ich meine Schulter in seinen Brustkasten, damit er der Bewegung folgt), und halte die Waffe vor meiner Brust fest. Als er sich sträubt, folge ich seiner Bewegung und wickle seinen Arm um seinen eigenen Körper, bis die Gummiklinge seinen Hals trifft.
    Es ist eine entnervend intime Angelegenheit. Einen Moment lang wird sein Gesicht von einem gequälten Hundegesicht überlagert, das in einem kleinen Schuppen außerhalb von Cricklewood Cove Blut spuckt. Ich ignoriere es, lege ihn wieder flach auf den Rücken und folge ihm hinab, wobei das Übungsmesser seine Position nicht verändert. Er kracht fest auf den Boden (was durchaus in meiner Absicht lag), und ich wackle leicht mit dem Messer, um anzudeuten, dass Riley Tench soeben in die Reihen der hochverehrten, blutleeren Gefallenen übergewechselt ist. Ronnie Cheung beendet den Kampf mit einem Ruf und betrachtet mich mit mildem Interesse, als hätte er mich gerade auf seinem Ärmel entdeckt und müsste sich nun fragen, aus welcher Öffnung ich entfleucht sei.
    »Freiwillige?«, sagt er und deutet auf mich. Richard P. Purvis tritt vor, und auch gegen ihn gewinne ich, obwohl es unordentlich ist und Elisabeth die Nase rümpfen würde. Gonzo verzichtet. Ronnie Cheung zuckt mit den Achseln, baut sich vor mir auf, hämmert meine Verteidigung nieder und schickt mich binnen einer Sekunde auf die Bretter. Aber um ehrlich zu sein, legt er dabei eine große Zurückhaltung an den Tag, und als er »Penner« sagt, klingt es nachdenklich. Er summt und nickt, der Tag endet in irgendeiner Bar. Ronnie Cheung vergisst sich sogar selbst und gibt die erste Runde aus.
    Aber Gonzo – was hat er überhaupt hier zu suchen? Wie kommt G.W. Lubitsch, der bei unserer letzten Begegnung eine Karriere in einer Handelsbank mit majestätischen Initialen anstrebte, die ihren Mitarbeitern Gehälter in der Größenordnung von Telefonnummern einschließlich der Vorwahl bietet – und dazu Nebenleistungen und Karrieremöglichkeiten, die den Traum jedes Sterblichen übersteigen –, wie kommt Gonzo William Lubitsch dazu, wie ein Stummfilmschurke hinter einer Lagerkiste hervorzuspringen? Woher kennt er Ronnie Cheung? Die Antworten erfahre ich bei einem kühlen Bier und salzigen Chips, die in gesättigter Fettsäure gebacken wurden. Gonzo trägt eine Uniform, allerdings bleibt die genaue Bezeichnung seiner Einheit geheim. Gonzo absolviert ebenfalls eine Ausbildung und bereitet sich auf Einsätze vor, die viel brutaler und kriegsähnlicher sind als das, was General Copsen mit mir vorhat. Gonzo hielt es in seinem neuen Job gerade einmal drei Wochen aus, ehe er zu dem Entschluss kam: »Wenn ich hierbleibe, werden sie mich mit fünfundfünfzig nackt unter zwei Sekretärinnen finden, die Füße an die Bettpfosten gefesselt und mit einer Zitrone im Mund. Dann bin ich tot und fett, und niemand wird um mich weinen – außer der schüchternen Frau nebenan, die zwar schon immer in mich verliebt war, es mir aber nie gesagt hat – und die mich hätte vor mir selbst retten können, wenn sie nur den Mut dazu gefunden hätte.«
    Dank dieser eigenartigen Logik wird erklärlich, dass sich Gonzo für die Militärlaufbahn entschieden hat, und unweigerlich ging er, nachdem die Entscheidung einmal gefallen war, zu den Spezialeinheiten, um die schmutzigen Dinge zu erledigen, die zum Wohle jener, die es nie erfahren werden, irgendjemand eben erledigen muss. Gonzo könnte weder kommandierender Offizier noch Rekrut sein. Gonzo kann immer nur der

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