Die gelöschte Welt
sollten rasch verschwinden.
Vor uns blitzt es, aber der Schein reicht nicht sehr weit. Offenbar ist zwischen einem Spielzeugladen und einem Hotel namens Rick's American Casablanca eine Granate gezündet worden. Der Name stellt wahrscheinlich eine Verletzung des Urheberrechts dar, aber hier werden schon so viele Rechte verletzt, dass ich mir über geistiges Eigentum nicht weiter den Kopf zerbrechen will. Beide Häuser haben vorne große Fenster, die sich bisher noch nicht in Sand verwandelt haben. Der Blitz ist sehr hell, und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Die gläsernen Vorderfronten der Gebäude knicken ein und brechen zusammen.
Trent versetzt mir von der Seite einen Stoß, worauf wir durch die kaputte Mauer eines Waschsalons stürzen. Dann zählt er: eins, zwei, drei … Eine Wolke Rasierklingen rauscht vorbei, ein Schauer aus Glassplittern pflügt über den Boden, klimpert auf den Streben der Markisen und zerfetzt den Stoff, ohne dabei langsamer zu werden. Die abgelenkten Splitter, einige so klein wie Fischfutter, andere so groß wie Untertassen, fallen rings um uns herab.
»Das war knapp«, haucht Trent, oder vielleicht brüllt er es auch, und ich bin nur taub. Dann springt er auf und nimmt die Trage, um sich dem Hauptplatz zu nähern, der vorübergehend als Hölle der zerschmetterten Männer dient. Aline (die irrelevante Aline mit den willigen Hüften und dem schwankenden Mut, die ich in diesem Moment sehr vermisse und die sich seltsamerweise in Elisabeth Soames verwandelt, wie ich sie das letzte Mal in Cricklewood Cove gesehen habe, um wiederum von einem sterbenden Soldaten aus Faxton überlagert zu werden) hätte diese Beschreibung empörend gefunden, weil einige der Leichen oder Beinahe-Leichen oder immer noch leidenden Lebenden weiblichen Geschlechts sind. Die alte Dame/ Aufrührerin/durchschnittliche Frau, die uns verscheuchen wollte, ist nur noch ein toter Haufen aus Lumpen und Knochen.
Ich nehme Brandgeruch wahr, irgendwo kracht etwas. Ein Lastwagen brennt – nein, es sind sogar zwei, und einer steht lichterloh in Flammen. Ein großer Kerl rast an mir vorbei, anscheinend ein Journalist, der aber seine Kamera fallen gelassen hat und zu den Flammen eilt. Aus jener Richtung höre ich auch Schreie, aber die sind ja im Grunde überall zu hören. Der Journalist schreit seine Leute an, sie sollten ihm helfen, ihr verdammten Ärsche, und auf einmal kapieren sie es. Es gibt eine Art Zeitungsstreik, weil sie zur Abwechslung mal ihr Leben aufs Spiel setzen, um jemanden zu retten, statt sich um Auflagensteigerung zu bemühen. Die meisten wirken verängstigt und etwas verlegen und müssen den großen Kerl schließlich wegzerren, weil die Lastwagen gleich explodieren werden. Als es dann knallt, achtet kaum noch jemand darauf. Die Journalisten stehen herum, starren die Leute an, denen sie das Leben gerettet haben, und wissen nicht, was sie jetzt mit ihnen anfangen sollen.
Tobemory Trent bahnt sich einen Weg durch Golgatha und wirkt dabei nicht wie jemand, der beinahe in die Luft geflogen wäre, sondern eher so, als bekomme er eine schreckliche, aber altbekannte Ungeheuerlichkeit zu sehen. Er reißt seine Tasche auf und tut etwas Brutales, aber Notwendiges, woraufhin ein Mann kreischt und »Danke« sagt. Nur dass er nicht mehr aufhören will und endlos dankedankedankedankedanke murmelt. Trent haut ihm auf den Kopf, damit er das Bewusstsein verliert, weil Schmerzmittel kostbar sind und der Kopf nicht verletzt war.
Irgendwie tauchen zwischen den Lachen menschlicher Körpersäfte noch andere Sanitäter auf, darunter Thomas und sein Vordermann, alle mit langen Gliedern und ernsten Gesichtern. Wie wir bringen sie Verbandpäckchen, Schienen und einige unaussprechliche Dinge mit, um den Opfern Linderung zu verschaffen. Einer liegt am Boden, er muss direkt vor uns angekommen sein. Ein junger Bursche namens Bobby Shank. Ich habe ihn einige Male beim Essen gesehen und ihm zugewinkt. Er hat zum Gruß genickt. Bobby Shank hat ein Loch in der Stirn, aber es ist kaum Blut geflossen, und er lebt noch. So etwas kommt manchmal vor. Im Fernsehen stirbt man sofort, wenn man eine Kugel in den Kopf bekommt. Hier draußen überlebt man gelegentlich. Manchmal kann man sogar halbwegs normal weiterleben. Bobby Shank liegt auf seiner eigenen Trage, und sein Vordermann verbindet einen Kerl mit einer kleinen Kopfverletzung, damit dieser Bobbys Platz am hinteren Ende einnehmen und Bobby zurücktragen kann. Ich wende den Blick ab. Bobby
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