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Die gelöschte Welt

Die gelöschte Welt

Titel: Die gelöschte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Harkaway
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zusammenarbeiten« aussah, und dann purzelten wir auch schon in den Sand. Der Transporter entfernte sich röhrend, und dann war alles still. Es ist meistens still, obwohl inmitten des recht fernen Getöses auch ein eigenartig vertrauter Laut zu hören ist, der irgendwie nach Haustieren klingt. Es klingt wie tacketi-tack-badamm-bumm (natürlich sind es keine Haustiere, sondern kleine Explosivgeschosse). Tamtata, tamtata. Eine ganze Menge Haustiere ( bumm – das war näher), und sie rennen wild umher und haben vielleicht Kleingeld in den Hosentaschen oder tragen Glöckchen, weil es auch ganz leise klimper-klingel macht. Die Haustiere sollten nicht hier sein. Dies ist ein gefährlicher Ort. Auch ich sollte eigentlich nicht hier sein.
    Ich schleppe die Trage und folge Tobemory Trent.
    Wir laufen um eine Ecke und über eine Anhöhe, und dahinter wird es dann erheblich lauter. Wir nähern uns einer Kleinstadt, die offenbar errichtet worden ist, nachdem ich das letzte Mal vom Hügel herabgeschaut habe, nur dass sie wirkt, als wäre sie tausend Jahre alt. Eine Menge Menschen sind damit beschäftigt, sich gegenseitig ebenso energisch wie willkürlich umzubringen. Der Rauch ist nicht mehr nur vor uns, sondern auch überall um uns herum. Kreischend fliegen Objekte an mir vorbei, die ich als Geschosse identifiziere. Ich vergesse völlig, mich zu ducken (Ma Lubitsch wäre wütend darüber), werde aber nicht angeschossen. Auch Tobemory Trent wird nicht verletzt, und ich habe keine Ahnung, wie ihm das gelingt, denn er hat nicht vergessen, sich zu ducken, sondern beschlossen, sich einfach nicht weiter darum zu kümmern, weil er sowieso nicht weiß, woher die Kugeln kommen. Das Knirschen und Knacken ringsherum stammt nicht etwa von mehreren tausend Katzen, die ins Katzenklo steigen, sondern vom Mauerwerk, das in kleinen Brocken und Stückchen von den Wänden herunterfällt, während die Kugeln einschlagen. Die ganze Stadt ist aus Eieruhren gebaut, denn der Sand rinnt hier von oben nach unten, und wenn die obere Hälfte leer ist, wird die Stadt durchgängig eine Etage niedriger sein und vermutlich größtenteils in sich zusammenbrechen. Das dürfte in schätzungsweise acht Minuten geschehen.
    Trent führt mich über eine kleine Straße, die nach Latrine, Leder, gekochtem Fleisch, brennendem Gummi und noch etwas völlig anderem riecht, das meinem animalischen Instinkt überhaupt kein Vergnügen bereitet. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund benutzt niemand die Straße als Schießstand, daher ist dies fast die sicherste Stelle in diesem Ort. Die Häuser sind auf eine morbide Weise hübsch – aus Sandstein oder Zement und modern, aber mit einer altmodischen Ausstrahlung, als wollten sie sagen: Klar, wir haben einen Kran und Fertigbauteile benutzt, aber es ist immer noch ein Haus von der Art, die früher aus Lehm gebaut wurde. Hin und wieder erkenne ich einen größeren Kasten, bei dem es sich um eine Fabrik, ein Hotel oder einen Wohnblock handeln könnte. Diese Gebäude, aus dem gleichen Material errichtet, scheinen sich wie schlaksige Jugendliche vorzubeugen und zu murmeln, es sei doch ein altes, kleines Kaff, in dem nie etwas Aufregendes geschehe, und es gebe nicht einmal ein Einkaufszentrum. Zwei Gebäude dieser Sorte haben sogar Reklametafeln, deren Sinn ich aber nicht erkennen kann. Dabei fällt mir ein, dass viele Reklametafeln zu Hause ebenfalls sinnloses Zeug enthalten und ohne erklärenden Text völlig unverständlich blieben. Dann beginnt irgend so ein Idiot, die Stadt zu bombardieren.
    Ich merke es daran, dass sich meine Beine wie Knetgummi anfühlen und die Gebäude schwanken. Eine Reklametafel löst sich an einer Seite, ein halbes lächelndes Gesicht schlägt durchs Dach eines benachbarten Wohnhauses und legt eine leere Küche frei, an deren Wänden Blut klebt. Darauf folgt ein sehr lautes Geräusch, und Trent meint, wir müssten einen Augenblick anhalten, um unsere Position zu bestimmen und herauszufinden, was – zum Teufel – hier los ist, weil die Feinde doch eigentlich über gar keine Artillerie verfügen dürften. Die Granaten, die hier einschlagen, müssten demnach unsere eigenen sein, aber die sollten nicht fallen, solange wir noch hier drin sind. Eine alte Dame oder ein gefährlicher Aufwiegler, der sich als alte Dame verkleidet hat, vielleicht auch nur eine Frau in mittleren Jahren in zerlumpten Kleidern, die ein Bad und ein paar Monate Erholung außerhalb des Kriegsgebiets brauchen würde, winkt aufgeregt, wir

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