Die gelöschte Welt
Erwähnungen, keine Beförderungen und keine mitfühlende Entlassung in den Sonderurlaub, denn all dies käme dem Eingeständnis gleich, dass ein Fehler geschehen ist und keineswegs ein tapferer, strategisch vernünftiger Schachzug ausgeführt wurde. Da unsere Seite nicht nur mich, sondern auch einen Nachschubzug und die Hälfte einer befreundeten Stadt in die Luft gejagt hat, wird alles unter den Teppich gekehrt, und ich bin offiziell hier, weil es eine unplanmäßige Entladung einer Waffe gegeben haben soll, was normalerweise die Umschreibung für »Idiot schoss sich selbst in den Arsch, als er sein Gewehr reinigte« ist. In meinem Fall spricht der Granatsplitter in meinem Arm allerdings dafür, dass es ein anderer Idiot war, der aus ein paar Meilen Entfernung versehentlich seine Kanone abgefeuert hat. Das wird aber niemand zugeben, denn sonst werden sie gefeuert oder (unwahrscheinlich, aber offenbar nicht völlig ausgeschlossen) ihrerseits unter Feuer genommen.
Glücklicherweise bestand die Granate, die ein Stück weiter unten auf der Straße einschlug, nicht aus Uran. Deshalb ist das schartige kleine Stück, das im Augenblick zwischen meinem Bizeps und dem Oberarmknochen sitzt, weder toxisch (abgesehen davon, dass es zwischen der Explosion und seiner Landung in meinem Körper in der Luft, im Staub und im Dreck alle möglichen Viren aufgenommen hat) noch radioaktiv verstrahlt.
So habe ich zwar die Hölle des freundlichen Schrapnells besucht, wurde aber nicht umgebettet in die Hölle der Schwermetallvergiftung, die Hölle innerer Verbrennungen oder die Hölle der militärischen Karzinome, über die niemand reden will. Ich darf damit rechnen, dass ich überleben und im Kriegstheater meinen Dienst wieder aufnehmen werde, um in den fraktalen Höllen, die es hier nun einmal gibt, neue Erfahrungen zu sammeln – da wäre etwa die Hölle des Drecks im Arsch, der Sandflohbisse, der unendlichen Langeweile und ewigen Angst, die Hölle der Ahnungslosigkeit hinsichtlich dessen, was wir hier überhaupt tun, und die Hölle des gebackenen Bohnenmüsli zum Frühstück, wobei die letztere das unergründliche Geschenk jener Höllenhunde ist, die man auch als Nachschubeinheit kennt. Da wir hier nun über mich sprechen, werde ich mir also keine Schussverletzungen zuziehen, sondern eher Krankheiten, Schlangenbisse, Sonnenstiche, Entzündungen wegen des Regens oder Hautrisse wegen der Sonne, toxische Schocks wegen des übermäßigen Gebrauchs von Hautsalben, die außerdem Verdauungsstörungen, Ausschläge und Pusteln auslösen. Der Krieg ist nicht die Hölle. Der Krieg ist eine Sonderausgabe, eine nach Weihnachten angebotene Zusammenstellung der besten Angebote aller Höllen. Am Ende dieser Überlegungen komme ich zu dem Schluss, dass Morphium ein wundervoller Stoff ist und ich gern mehr davon hätte. Ich drücke auf den kleinen Regler, der in früheren Abenteuern manchmal den Zustrom öffnete. Aber nichts geschieht. Anscheinend ist meine Verletzung nicht ernst, oder die Opfer unbeabsichtigter Schussauslösungen werden mit einer Strenge behandelt, die ihrer Dummheit entspricht. Im Übrigen habe ich ja noch nicht einmal eine Schusswunde. Ich kann die Kuchen backenden Tanten förmlich sehen, wie sie die Köpfe schütteln und tsk-tsk machen.
Neben meinem Bett steht eine Frau. Offenbar eine Art Krankenschwester. Ihr Abzeichen – es ist sauber und weiß wie alles an ihr – verrät mir, dass sie Leah heißt. Sie ist schön. Dreimal verfehlt sie die Vene. Normalerweise würde sie jetzt den anderen Arm nehmen, aber das ist aufgrund meiner Verletzung nicht möglich. Ich verkneife mir die Bemerkung, dass in diesem Krieg siebzehn mir näher bekannte Leute kämpfen, die das verdammte Ding beim ersten Versuch getroffen hätten, nachdem sie sich so oft das frei zugängliche Heroin injiziert haben, von dem ungefähr jeder Dritte abhängig ist. Obwohl »Abhängigkeit« ja andeutet, es gäbe irgendetwas, das sie stattdessen besser tun sollten, und das ist irreführend. Sind Sie abhängig, wenn es einfach keinen Grund gibt, irgendetwas anderes zu tun? Wenn es, seit Sie regelmäßig Heroin konsumieren, einfach keine Gelegenheit gab, bei der es auf irgendeine Weise gestört hätte? Oder wenn Sie einfach den Verstand verloren haben und auf das warten, was noch kommen mag?
Sie ist schön, obwohl sie so schlecht mit der Nadel umgehen kann (was eigentlich eine ganz eigene Hölle sein sollte). Von ihr würde ich mich jederzeit fast überall mit Nadeln
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