Die Genussformel: Kulinarische Physik (German Edition)
tun. Wir werden bemerken, dass sich das Fleisch zusammengezogen hat – das „böse“ Kollagen ist dafür verantwortlich. Also sollten Sie die Kasserolle aus dem Backrohr herausnehmen und bis zu 20 Minuten warten. Ist die Temperatur im Inneren so weit gesunken, dass sich die Kollagenfasern entspannt haben, dürfen Sie erst das Fleisch schneiden. Wenn Sie es schon vorher zerteilen, verteilt sich der wunderbare Saft des Fleisches über das Brett. Das lässt sich vermeiden, wenn das Fleisch rasten darf. Bitte decken Sie das Fleisch aber nicht mit Alufolie ab – es würde sonst nicht so schnell auskühlen, und die Schwarte würde wieder durch den entstehenden Wasserdampf aufgeweicht. Glauben Sie mir bitte, das Fleisch wird heiß genug bleiben.
Wenn sich die Fleischfasern entspannt haben, kann der Braten zerteilt werden. Einem wunderbaren Genuss steht nichts mehr im Weg.
Die Thermodynamik einer Weihnachtsgans
Für die Zubereitung der Weihnachtsgans verwende ich gerne Gefriergänse (mit Hafer gefüttert). Diese leiden an einem schlechten Ruf, der aber nicht gerechtfertigt ist. Freilandgänse haben zwar ein besseres Image, sind aber aus naturwissenschaftlicher Sicht schwerer zu beschreiben. Mit den Freilandgänsen verhält es sich wie mit den Kühen auf der Alm: Manche sind faul, einige dagegen richtig sportiv. Das Geflügel, das sich viel bewegt, wird mehr Kollagen bilden. Kollagen umhüllt die Fleischfasern und sorgt auch für die Zähigkeit des Fleisches. Das heißt, sportliche Gänse bilden eine ausgeprägte Kollagenstruktur, und sie müssen länger braten als die „faulen“ Gänse.
Ich habe Gänse aus verschiedensten Haltungen ausprobiert und mehreren Feinschmeckern vorgesetzt mit der Frage, ob sie einen Unterschied feststellen können. Das Ergebnis war eindeutig. Wenn sie nicht wussten, woher die Gans kam, dann war sie immer die beste aller möglichen Gänse. Lassen wir uns nicht immer von dem Produktzettel verführen. Trotzdem muss auch eines erwähnt werden: Mitunter ist die Gans einfach zäh – egal wo sie herkommt. Das habe ich sowohl bei rein biologischen Gänsen, die glücklich waren und sicher nie auch nur ein einziges „Gen“ im Futter vorgefunden haben, beobachtet, als auch bei Gänsen, die aus Zuchtbetrieben stammten. Die Gans sollte man rund zwei Tage vorher mit Salz stark einreiben und dann im Kühlschrank lagern. Viele machen den Fehler, dass sie zu wenig Salz verwenden – siehe Schweinsbraten. Die Gans wird dabei etwas Wasser verlieren, aber das stellt kein Problem dar. Bevor die Gans zubereitet wird, sollte sie nochmals mit Salz eingerieben werden. Ohne Salz würde die Gans nicht diesen wunderbaren Geschmack bekommen.
Beim Braten von Gänsen stellen sich zwei interessante physikalische Aufgaben:
1. Wie lange darf die Gans braten?
2. Wie verleihen wir der Gans mehrere Geschmäcker?
Zum ersten Problem: die Bratdauer
Die Bratdauer hängt von der Größe der Gans und der Backrohrtemperatur ab. Die Wärme muss in das Innere der Gans weitergeleitet werden und dort eine bestimmte Temperatur erreichen. Die Innentemperatur sollte bei 75 °C liegen. Bei dieser Temperatur ist das Eiweiß schon geronnen, und das Kollagen beginnt sich aufzulösen. Es darf die Temperatur im Inneren nicht zu hoch sein, denn die übrigen Kollagenfasern, die sich noch nicht in Gelatine umgewandelt haben, würden sich zusammenziehen, und der Fleischsaft würde herausgepresst werden – es wäre ewig schade darum. Die Gans wäre trocken.
Angenommen, die Gans sei eine Kugel – was in erster Näherung durchaus stimmt –, dann besteht ein Zusammenhang zwischen dem Radius und dem Gewicht des Tieres: Der Radius ist proportional zur dritten Wurzel der Masse. Wir müssen also nicht mit einem Maßband den Umfang und daraus den Radius bestimmen, es gilt:
Die Bratdauer t ist proportional zu
und daraus folgt, der Radius r ist proportional zur dritten Wurzel der Masse m .
Natürlich müssen noch die Backrohrtemperatur und die gewünschte Innentemperatur berücksichtigt werden. Mithilfe der Thermodynamik lässt sich die genaue Bratdauer berechnen, leider ist die Formel ziemlich kompliziert. Mit folgender Näherungsformel kann man sich ganz gut helfen:
Die Masse m wird in Kilogramm angegeben – das Gewicht der Gans T BA ist die eingestellte Backrohrtemperatur und T Zentrum die gewünschte Innentemperatur. Empfehlenswert ist T BA = 220 °C und T Zentrum = 75 °C. Die
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